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Schauspiel  Menschenfresser in Magdeburg

"Zeit der Kannibalen" hatte Premiere am Schauspielhaus Magdeburg.

Von Claudia Klupsch 06.05.2018, 23:01

Magdeburg l Überschwängliche Kritiken erntete 2014 der Film „Zeit der Kannibalen“ in der Regie von Johannes Naber. Er legte wenig später eine Theateradaption vor. Die Uraufführung folgte 2015 in Mönchengladbach. Für die neuerliche Auflage des Kammerstücks ist die Raumbühne am Theater Magdeburg wie geschaffen.

Zombies und Menschenfresser sind die Protagonisten in „Zeit der Kannibalen“. Es geht um Unternehmensberater. Die gezeigten Exemplare übertreffen jedes Klischee. All ihr Sinnen und Trachten: Profit, Profit, Profit, für „das Arschloch“ Kunde alles herausholen und es den „Wichsern“ von Konkurrenten zeigen, koste es, was es wolle. Lokale Märkte zerstören – egal, Fabriken samt Arbeitsplätzen liquidieren – egal, Entwicklungs- und Schwellenländer in Krisen stürzen – egal.

Dominic Friedels Inszenierung ist keine einfach abgespielte dramatische Handlung. Das Experimentieren mit Musik und Video, das Deklamieren philosophischer Texte, gar ein auftretender Hamlet, der über das „Rätsel der Grausamkeit“ nachdenkt, laute und ganz leise Momente machen das Stück zu einem herausfordernden Theaterereignis, temporeich, immer wieder überraschend, auch anstrengend.

Das Leben von Unternehmensberatern ist so verdammt armselig. Sie vegetieren in Hotels überall auf dem Globus. Bühnenbildnerin Christiane Hercher deutet die Kargheit mit Frisiertischen an. Die Bühne in Schwarz mit nichts als zwei Tischen, ein von zwei Seiten in die Szenerie einblickendes Publikum, das Spiel mit Licht und Musiktönen schaffen die Atmosphäre eines hermetisch abgeschotteten Raumes.

Die Figuren sind hier gefangen. Zlatko Maltar und Uwe Fischer geben die Berater Öllers und Niederländer als auf Abzocke programmierte Typen. Mit Clownsnasen rennen sie umher und belehren das Publikum, worauf es in ihrem Job ankommt. Sie belauern einander. Der andere ist vielleicht der Konkurrent für einen Teilhaberposten? Die Spannung zwischen ihnen ist mit den Händen zu greifen.

Beide sind zynische Ekelprotze und zugleich schlotternde, schwache Wesen. Zlatko Maltar ist der kaputte Öllers, der in Telefonaten mit krankem Sohn und keifender Ehefrau verzweifelt. Uwe Fischer gibt das ängstliche Nervenbündel. Kofferpacken kann er in 32 Sekunden, um schnell abzuhauen, wenn es nötig kommt. Als in die Zweierrunde eine Frau eintritt, vollzieht er den Verrat an seinem Kollegen ohne Bedenken, Kollegin März scheint als Zuträgerin der Bosse eingeschleust zu sein.

Eine starke Léa Wegmann verkörpert die Karrierefrau, scheinbar feinsinniger als ihre Kollegen, selbstmitleidig, wenn sie alleine ist, dennoch keinen Deut besser als die anderen Aasgeier. Mit ihrem Kostüm, barock und futuristisch, unterscheidet sie sich von ihren bieder gekleideten Kollegen. Die Schauspielerin sorgt für Gänsehaut, als sie den Niedergang menschlicher Existenz herausschreit. Die Erkenntnis dringt ins Mark: Stimmt, wir machen es uns gemütlich, während die Welt in Flammen steht. Der grandios von ihr gesungene Rio-Reiser-Song vom „Menschenfressermenschen“ verstärkt die Wirkung des Augenblicks. Überhaupt weiß der Regisseur um den intensivierenden Reiz der Musik. Schmerzt die Kakophonie der drei Berater in den Ohren, lässt Deichkinds „Bück dich hoch“ schmunzeln. Noch mehr erheiternd ist die Videokonferenz mit den Bossen. Herrliche Idee, Urväter des „Wirtschaftswunders“ synchronisiert auftreten zu lassen.

Als Lukas Paul Mundas, der das kraftvolle, überzeugende Ensemble komplett macht, als Hamlet-Persiflage auftritt, erscheint es zunächst humorvoll-grotesk. Doch es hämmert sogleich wieder ins Hirn, wenn etwa die „Grausamkeit als wichtigstes Mittel der Selektion“ zur Sprache kommt.

Doch was bleibt dem Theaterkonsumenten, am Ende überfrachtet mit systemkritischen Gedanken? Im Stück heißt es: „Der Kapitalismus soll die Welt zerstören.“ Mit Rio Reisers Worten: „Doch sie können’s nicht ändern, es ist halt ’ne harte Zeit.“ Darauf einen Wein im gemütlichen Theaterrestaurant.