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Schauspiel Landeier in der großen Stadt

„Das Sparschwein“ von Eugène Labiche hat Premiere im Magdeburger Schauspielhaus.

Von Rolf-Dietmar Schmidt 05.02.2017, 23:01

Magdeburg l Mit beinahe drei Stunden hatte die Vaudeville-Komödie „Das Sparschwein“, zumindest was die Länge anbetraf, beinahe Wagner‘sche Operndimensionen. Vaudeville bedeutet in Frankreich Anfang des 19. Jahrhunderts ein eigenständiges Theatergenre, in dem Komödien mit lokalem Bezug, mit Liedern und Tanz unterlegt, ja mitunter sogar mit akrobatischen Einlagen gespickt waren. Die Handlungen waren witzig, satirisch, manchmal auch frivol und wechselten schnell an den Boulevardtheatern.

In Deutschland haben sich Vaudevilles nie richtig etabliert, finden aber, sofern man sich an so eine Inszenierung wagt, doch ihr Publikum. Magdeburgs Schauspieldirektorin Cornelia Crombholz besitzt genug Mut für eine solche Inszenierung, und sie hält sich strikt an den Vaudeville-Charakter. Musik, Tanz, ausgedehnte Slapstick-Szenen, ja sogar Schattentheater finden ihren Platz, was aber auch zu Längen führt, die nicht immer das Komödiantische der Handlung treiben.

Die wiederum ist schnell erzählt. Eine mit sehr unterschiedlichen Interessen versehene Pokergemeinschaft in der französischen Provinz füttert regelmäßig bei bestimmten Spielständen ein Sparschwein.

Als sich darin schließlich eine erkleckliche Summe angesammelt hat, beschließt man eine Reise in die Metropole Paris, bei der jeder nach seinem Wunsch seinen Anteil ausgeben kann. Doch dann werden die „Landeier“ von den Hauptstädtern so richtig über den Tisch gezogen, verwickeln sich in unzählige Schwierigkeiten, werden verhaftet, fliehen und stehen schließlich enttäuscht von der Bösartigkeit der Welt völlig mittellos vor dem Aus.

Was die neun Schauspieler innerhalb dieses Geschehens leisten, allen voran Iris Albrecht als Léonida und Thomas Schneider als Privatier und Rentier Champbourcy, das verdient enorme Anerkennung. Schauspielerisch und körperlich geben weiterhin Nadine Nollau als Blanche, Cornelius Gebert als Apotheker Cordenbois, Burkhard Wolf als der reiche Bauer Colladan, Marian Kindermann als Sylvain, Amadeus Köhli als Félix, Notar und Heiratsvermittler, Zlatko Maltar in zwei Rollen, ebenso wie Ralph Opferkuch als Kriminalkommissar einfach alles. An ihnen lag es mit Sicherheit nicht, wenn es der Humorfunke nur mit Mühe bis ins Publikum schaffte.

„Das Sparschwein“ von Eugène Labiche ist eines der Erfolgsstücke des Autors. Insgesamt hat er 175 geschrieben, wovon die meisten schnell der Vergessenheit anheim gefallen sind.

Das Bloßstellen des Spießbürgers mit all seinen Schwächen, indem man ihn in Situationen stellt, die ihn überfordern und damit zu skurrilen Handlungen treiben, das war das Erfolgsrezept zu seiner Zeit. In Grundzügen funktioniert das auch heute noch.

Der Mensch verhält sich in bestimmten Situationen ganz ähnlich. Dennoch besteht ein Unterschied zwischen den Spießern Anfang des 19. Jahrhunderts und denen heute.

Konsequenterweise lässt Cornelia Crombholz die Handlung in der Zeit des französischen Kleinbürgertums damals spielen. Die Zeitlosigkeit der Kostüme und Bühne (Marion Hauer) ermöglicht das ohne Brüche, auch wenn hier zeitweise die Suche nach Effekten ein wenig überbetont wurde.Typisch für Vaudeville-Komödien von Eugène Labiche war immer, dass die Entlarvten, oft auch Entblößten, letztlich immer zu einem versöhnlichen, einem Happy End fanden.

Das ist in der Inszenierung im Magdeburger Schauspielhaus nicht so. Einer der wichtigsten deutschen Dramatiker, Botho Strauss, der übrigens in Naumburg geboren wurde, unter anderem in Halle wirkte und vielleicht auch Cornelia Crombholz inspirierte, hat das Ende umgeschrieben.

Crombholz verstärkt das noch, in dem sie den scheinbaren Verursacher all der Widrigkeiten, der Ausweg- und Hoffnungslosigkeit der Mitglieder der Pokerrunde aus dem beschaulichen Dorf La Ferté-sous-Jouarre mit einem Beil erschlagen lässt. Dazu das Lied „Jetzt ist es Zeit! Es ist genug! ... Jetzt wird’s zerschlagen!“ nach einem Text von Erich Mühsam, dem deutschen anarchistischen Schriftsteller, der 1934 von den Nazis im KZ ermordet wurde.

Da wird aus der Komödie plötzlich ein Drama, das angesichts von Terrorakten und Rechtsruck auch und gerade in Paris eine fast schmerzhafte Aktualität erhält. Dieser Schluss, diese bohrende Wendung, macht die eigentliche Größe der Inszenierung aus.