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Stasi-Behörde Archive zeigen seltene Dokumente

Um ungewöhnliche Fundstücke aus der Überlieferung der Stasi geht es in einem Vortrag am 4. März in der Stasiunterlagenbehörde Magdeburg.

Von Bernd Kaufholz 02.03.2018, 00:01

Magdeburg l Am 17. Februar 1970 ist im Staßfurter Fernsehgerätewerk alles aufs Feinste vorbereitet, um den 100. Geburtstag Lenins zu zelebrieren. Die SED hat die Richtung für das „Lenin-Jahr“ vorgegeben. Im großen Saal des Kulturzentrums des VEB soll eine Parteiaktivtagung stattfinden.

Damit es auch der Letzte versteht, ist die Tages-Losung zwischen den Porträtfotos des 1. Sekretärs des SED-Zentralkomitees, Walter Ulbricht, und dem Ministerrats-vorsitzenden Willi Stoph in großen Lettern angebracht: „Lenin ehren heißt – Pionier- und Spitzenleistungen auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens zu vollbringen“. Doch in der Pause, kurz nach 16 Uhr, gibt es den großen Knall. Das aus Holzleisten und Deko-Pappe gezimmerte und rund zwölf Kilo schwere Tagungs-Transparent kracht direkt hinter dem Präsidium auf den Boden.

Verletzt wird niemand, aber der DDR-Geheimdienst tritt den ganz großen Ball. Drei Stunden nach dem Losungs-Sturz sind Volkspolizei und Staatssicherheit vor Ort. Der Verdacht lautet: „Staatsverleumdung“. Es wird vermutet, dass „unbekannte Täter das Transparent absichtlich heruntergerissen und auf diese Weise ihre oppositionelle Haltung zum Ausdruck gebracht haben“.

Noch am selben Abend wird der betriebliche Dekorateur Walter R. befragt. Der 57-Jährige berichtet, dass die Losung vor drei Wochen mit Bindfäden an der obersten Leiste der Spannwand befestigt wurde. Die Ermittlungen ergeben, dass der „Transparent-Fall von Staßfurt“ kein heimtückischer Anschlag von DDR-Gegnern war, sondern wohl eher der Unaufmerksamkeit von feiernden Jugendlichen gewesen ist.

Im Saal hatte sowohl eine Faschingsfeier der Berufsschule als auch eine FDJ-Tanzveranstaltung stattgefunden. Dabei hing der richtungsweisende Text bereits an der Wand. Die Jugendlichen hatten zur festlichen Verschönerung der Parole Papiergirlanden und andere Anhängsel, wie Pappmonde daran befestigt. Auch die Musikkapelle, die zum Tanz aufgespielt hatte, wird als „Vorschädiger“ der Aufhängung nicht ausgeschlossen.

Das Fazit der Staatssicherheit nach drei Wochen: „Der Verdacht, dass es sich um eine vorsätzliche Straftat“ gehandelt habe, „um die Parteiaktivtagung zu stören oder die Genossen des Präsidiums zu schädigen“ konnte nicht begründet werden. Diese bisher unveröffentlichte Recherche aus den Stasiarchiven gehört zu den 40 Stasi-Fällen, die Philipp Springer, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Archivbestände der BStU, zusammengetragen hat. Ein zweiter Fall aus Sachsen-Anhalt betrifft ein Schreiben des Magdeburger Bezirks-Stasi-Chefs Wilfried Müller kurz vor dem X. Parteitag der SED, im April 1981 psychisch Kranke aus dem Verkehr zu ziehen, damit diese den Parteitag nicht stören.

Der Vortrag von Philipp Springer „Verschluss-Sachen“ beginnt am 4. März um 14 Uhr.