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Theater Lieber Oper als Psychiater in Magdeburg

"Dantons Tod" ist eine selten aufgeführte Oper von von Einem. Magdeburgs Theaterchefin Karen Stone hat sie auf den Spielplan gesetzt.

Von Grit Warnat 11.01.2018, 00:01

Volksstimme: Gottfried von Einem war in der frühen Nachkriegszeit einer der meistgespielten Komponisten. Warum ist er so in Vergessenheit geraten?
Karen Stone: Weil sich in den 1950er Jahren die Musik weiterentwickelt hat und das Publikum die neueste Musik haben wollte. Es gab Zimmermann und Stockhausen, die gingen musikalisch andere Wege. Gottfried von Einem war wohl nicht mehr so zeitgemäß. Seine Musik war zwar modern, aber es kam schon die nächste Generation nach.

Warum setzen Sie ihn auf den Spielplan?
Es gibt mehrere Gründe. Er hätte in diesem Monat seinen 100. Geburtstag gefeiert. Zudem fand vor 50 Jahren die erste Aufführung in Magdeburg statt und von Einem war damals in der Stadt. Vor allem aber ist es das Thema, das mich gereizt hat.

Sie meinen die Französische Revolution?
Von Einem hat Georg Büchners Theaterstück als Vorlage genommen. Da gibt es Danton, der auf ein Ende des Krieges und auf eine Republik, eine Demokratie setzt. Sein Gegenpart Robespierre hingegen will die Gleichheit der Menschen durch Gewalt. Von Einem hat sich nach dem Attentat auf Hitler 1944 mit Büchners Text beschäftigt. Ihn bewegten natürlich Intoleranz und Gewalt. Und er zeigt uns, dass eine Revolution nicht nur ein blutiger, sondern auch ein langer Weg ist. Die Revolution ist nicht morgen zu Ende und dann kann gleich demokratisch gewählt werden. Büchner lässt Danton sagen: „Die Statue der Freiheit ist noch nicht gegossen, der Ofen glüht, wir alle können uns die Finger dabei verbrennen.“

Blickt man in die Welt, ist das Thema sehr aktuell. Es gibt Parallelen zu vielen Staaten. Man muss nur nach Syrien, in den Irak oder einige afrikanische Länder schauen. Es gibt Diktaturen, jede Menge Erbarmungslosigkeit und Opfer. Und man sieht, wie die Menschen in solchen extremen Situationen manipulierbar sind. Die Französische Revolution und Büchner werden nie an Aktualität verlieren. Leider.

Wo verorten Sie Ihre Inszenierung?
Von Einem hat gesagt: „Ich schrieb nie eine Oper, die nicht ihren direkten Bezug zur Zeit gehabt hätte. Ich hielt es immer für wichtig, dass das, was man in der Zeit, in der man lebt, mit- und durchgemacht hat, in der schöpferischen Arbeit notiert wird. Insofern sind meine Opern Notate der Zeit.“ Das ist diese Oper auch bei mir. Wir haben sie nicht ins Heute gesetzt, aber wir haben modernisiert. Von Einem ist nicht Büchner, Büchner ist nicht Französische Revolution.

Man hat also nicht Paris von 1794 auf der Bühne?
Nein. Auch nicht Büchners Zeit. Das wäre zu plump, das würde historisieren. Darum geht es mir nicht. Es geht darum, dass diese Vorgänge sich in der Geschichte wiederholen. Die Oper wurde 1947 in Salzburg uraufgeführt. Zu der Zeit wollte man sicher andere Themen als Revolution und Terror. Wie wurde die Oper damals aufgenommen?

Sie wurde von Amsterdam bis New York gespielt. Man mochte die Oper. Und man mochte von Einem. Er wurde geschätzt, auch weil er ein politischer, ehrlicher Mensch war. Er hat jüdische Menschen versteckt und ist dafür in Yad Vashem als ein Gerechter unter den Völkern ausgezeichnet worden.

Wie erlebte er die Nazi-Zeit?
Er kam als 18-Jähriger zum Studium nach Berlin. Er war hochbegabt. Und er wollte in diesem Land bleiben. Er war kein Jude, er war kein Kommunist. Als er Stücke mit Jazzelementen komponierte, wurden die als „entartete“ Musik angesehen. Er musste umkomponieren. Goebbels hat sein Concerto nicht gemocht, weil es da zu viel Jazz gab.

Gottfried von Einem starb 1996. Kannten Sie ihn persönlich?
Einmal bin ich ihm begegnet. Das war in Südengland bei einem Festival, als seine witzige, böse, ironische Oper „Der Besuch der alten Dame“ nach Dürrenmatt aufgeführt wurde. Ich war damals Studentin. Die Oper hat mich beeindruckt, er als Mensch auch.

Warum inszenieren Sie dann nicht den „Besuch der alten Dame“?
Diese Oper ist schön, aber „Dantons Tod“ ist sein wirklich wichtiges Werk und es wurde hier am Haus zu DDR-Zeiten erstmals aufgeführt. Es gibt noch drei, vier Musiker, die „Dantons Tod“ damals im Orchester gespielt haben. Der Vater von Marco Reiß zum Beispiel.

Was zeichnet die Von-Einem-Musik in dieser Oper aus?
Es gibt immer wieder Jazzelemente und man könnte denken, manches hat Bernstein für seine „West Side Story“ geschrieben. Von Einem setzt oft auf Schlichtheit, er hat unglaublich schöne lyrische Passagen geschrieben. Und dann hat er die Aggression des Volkes und den Aufmarsch komponiert. Er kann auch das.

Es setzt zudem auf große Chorszenen.
In einer Revolution spielt die Volksmasse eine zentrale Rolle. Das kann ein Schauspiel schwer ausdrücken. Von Einem hat sie brillant in die Oper eingebaut. Für den Chor und den Zusatzchor gibt es große Herausforderungen. Martin Wagner hat das fantastisch einstudiert. Wenn 50 Leute auf der Bühne stehen und immer wieder „Tod“, „Hinrichtung“ schreien, dann ist das höchst eindrucksvoll.

Ist „Dantons Tod“ für Sie als Mozart-Liebhaberin auch eine Herausforderung?
Aber ja. Jeden Tag in den Proben gibt es diese starken Emotionen, diesen Hass, diese Abneigungen. Das Thema, die Musik, das schlägt alles unglaublich auf einen ein.

Will das Publikum in bewegten Zeiten grausame Revolution auf der Bühne erleben?
Wir können nicht nur auf Unterhaltung setzen, wenn es anderswo Krieg und Zerstörung gibt und rechte Parteien in Europa stärker werden. Nur Unterhaltung wollte auch Gottfried von Einem nicht. Er musste seine Diktatur-Erfahrung für sich aufarbeiten. Nach der Nazi-Zeit muss er sich gedacht haben: Es ist wohl besser, solch eine brillante Oper zu schreiben, als zum Psychiater zu gehen.

Premiere der Oper „Dantons Tod“ ist am 20. Januar im Opernhaus Magdeburg. Weitere Vorstellungen: am 27. Januar um 19.30 Uhr, am 11. Februar um 16 Uhr und am 24. Februar um 19.30 Uhr. Theaterkasse: Tel. (0391)40 49 04 90.