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Theater Magdeburg Das Leben im Takt zerhackt

Die Uraufführungen der Tanzbegegnungen 7 im Schauspielhaus Magdeburg faszinierten mit packenden Ausdrucksformen.

Von Rolf-Dietmar Schmidt 21.05.2018, 23:01

Magdeburg l Magdeburgs Ballettdirektor Gonzalo Galguera hat ein feines Gespür für Choreografinnen, die verstaubte Vorbilder der Tanzwelt in die Requisite verbannen, stattdessen neue Ideen, kraftvolle Bilder und überwältigende Emotionen auf die Bühne bringen. Mit der Kubanerin Maura Morales und ihrer Arbeit „Was von uns bleibt“ sowie María Roviras „Alè“ hat er zwei der bekanntesten Choreografinnen der aktuellen Tanzszene der spanischsprachigen Welt nach Magdeburg geholt.

Die haben den Tänzerinnen und Tänzern der Magdeburger Kompagnie, die den Abend in zwei Teilen gestalteten, alles abverlangt. Aber sie haben damit auch eine Tür zu einer neuen, ungewöhnlich schönen, bedrückend, aber dennoch hoffnungsvollen Welt des tänzerischen Ausdrucks geöffnet, die den Atem stocken ließ. Das Publikum war hingerissen von der Fülle an Emotionen und dem Können der Akteure.

Die Assoziationen bei „Was von uns bleibt“ der mit internationalen Preisen überhäuften Kubanerin Maura Morales sind so vielfältig, wie die Menschen selbst. Da wird das Leben und die Lebendigkeit zerhackt vom Takt, zwingt unerbittlich zu Gleichförmigkeit und Gleichgültigkeit. Wer ausschert, wird zerstört. Und trotzdem finden sich die Paare in durchaus klassischen Formationen wieder. Dabei sind wie sonst die übrigen Tänzer kein passiver Hintergrund, sondern „malen“ mit Händen und Füßen, ja dem ganzen Körper, kommentierende, höchst einfühlsame Bilder. Das fordert den Zuschauer, der sich sonst auf die Solisten konzentriert, hier aber immer wieder in die ganze Vielfalt der Szenerie gestoßen wird. Anstrengend, aber schön!

Bei den Formationen macht es sich bemerkbar, dass die Magdeburger Kompagnie über eine fundierte klassische Ausbildung verfügt, gleichzeitig aber auch mit modernen Formen gefordert wird. Diese sind wie tänzerische Bluttransfusionen, die jedes Kompagniemitglied lernen und wachsen lassen.

Atemlose Stille herrschte, als in einer fast akrobatischen Ballett-Pantomime das Zurück zur Ursprünglichkeit, die „Häutung“ von den vielen kulturellen Schichten zu dem „Was von uns bleibt“ das Stück beschließt.

María Rovira ist Katalanin. „Alè“ heißt ihr Stück, was mit „Atem“ übersetzt wurde. Das dürfte aber zu kurz gegriffen sein, denn in ihrer modernen Choreografie steckt viel mehr, weshalb wohl die Übersetzung „Odem“ treffender gewesen wäre. Dieses Wort der alten Griechen umfasst auch den Begriff der Seele.

Dies tänzerisch auszudrücken, gelingt der Katalanin eindrucksvoll, wenn sie die Bewegungen der Tänzer mit einer Projektion des Blicks auf die Erde aus dem All illustriert. Das unterstreicht intensiv die Intention der Entwicklung vom ganz Großen zum ganz Kleinen, lenkt aber auch von dem ebenfalls mit neo-klassischen Formationen verbundenen modernen Tanz ab. Dennoch sind die Ausdrucksformen, die sich über die tänzerisch dargestellten gewaltigen Wellenbewegungen der Ozeane bis hin zu den kleinsten Organismen im Meer bewegen, von einer zauberhaften Anmut, wie dem Pas de Trois, der typischerweise mit einem Soli beginnt, zu einem Pas de Deux wird, um schließlich in einem Finale als Pas de Troix aufzugehen. Trotzdem sind alle Tänzerinnen und Tänzer einbezogen, sind Teil des Ganzen.

Wir haben nur eine Erde, und wir alle sind mit unseren Unterschieden nur Gast. María Rovira macht das in ihrer Choreografie auch musikalisch deutlich, wenn sie bei den Tänzen weltumspannende Musik, ob nun spanische oder orientalische Klänge einfließen lässt.

Die Raumbühne von Christiane Hercher gab den „Tanzbegegnungen 7“ genau die modernistische Atmosphäre mit kaltem Licht und viel Plastikfolie, die dem Anliegen beider Choreografinnen entgegenkam.

Wer auch immer mit Ballett, noch dazu mit modernem Tanz, wenig am Hut hat, könnte mit diesem Ballettabend vielleicht auf den Geschmack kommen. Man sollte es mal probieren.