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Theater Magdeburg Der Blick von oben

„Raumstation Paradies“ heißt ein Projekt im Schauspielhaus Magdeburg. Ausstatterin Christiane Hercher hat dafür eine Raumbühne geschaffen.

Von Kathrin Singer 28.01.2018, 23:01

Magdeburg l Dramaturgieabteilungen in Theatern versehen ihre Jahresspielpläne gern mit übergreifenden Titeln. Sie fassen die erwählten Stücke zusammen und setzen ein Thema. Das Theater Magdeburg befasst sich im Frühjahr in dem Projekt „Raumstation Paradies“ mit Science Fiction. Für die fünf Inszenierungen geht das Haus jedoch einen Schritt weiter: Christiane Hercher hat eine übergreifende Raumbühne für das Studio erdacht, die als ästhetischer Grundraum sein und neben dem dramaturgischen auch einen optischen Rahmen bilden soll.

Vergleichbar mit der 2017 mit dem Theaterpreis „Der Faust“ prämierten Raumbühne Heterotopia am Opernhaus Halle schafft Hercher einen Einheitsraum, der für die jeweilige Inszenierung modifiziert wird. Die Raumbühne, das betont die Ausstatterin, sei jedoch kein Ergebnis von Einsparmaßnahmen. Vielmehr verfüge jede Produktion, zu der auch die „Tanzbegegnungen“ gehören, über das übliche Budget für Ausstattungen.

Die „Raumstation“ verlässt die klassische Guckkastenbühne mit von der Bühne getrenntem Zuschauerraum. Vielmehr sitzen die Besucher mittendrin im Geschehen. Der Boden unter den variablen Zuschauertribünen zeigt die Erde, fotografiert von einer Raumstation aus. Diverse technische Elemente, Gerüstmaterial, Traversen und Metallwände verleihen dem Raum den „spacigen“ Charakter eines Raumschiffs, das über der Erde schwebt. Für Christiane Hercher ein optimaler Rahmen, um die auf den ersten Blick doch sehr verschiedenen Stücke optisch miteinander zu verbinden.

Dieses Eintauchen in künstliche Welten kommt der seit 2009 in Magdeburg tätigen Ausstattungsleiterin sehr entgegen und deckt sich mit ihrem grundsätzlichen Herangehen an Bühnenbilder. „Ich mag es, wenn die Räume möglichst wenig konkret sind, aber dennoch die Grundidee der Stücke widerspiegeln“, so Hercher. So erdachte sie das von M. C. Eschers verblüffenden Grafiken inspirierte Treppenlabyrinth für Karen Stones Inszenierung „Die Hochzeit des Figaros“, um die Verwirrungen und vielfältigen Handlungsstränge der Oper auch optisch auf der Bühne zu zeigen. Für Herrmann Scheins Inszenierung „Nathan der Weise“ stellte Hercher eine einfache Himmelskuppel auf die Schauspielhausbühne – versöhnendes Sinnbild für das Himmelsgewölbe und die Gebetshäuser aller drei Religionen.

Die aus Jena stammende Musik- und Sprachwissenschaftlerin sammelte ihre ersten praktischen Theatererfahrungen am Theaterhaus Jena und wirkte später als Dramaturgin und Regieassistentin bei den Musikfestspielen in Potsdam und Salzburg, bei den Freilichtspielen Schwäbisch Hall und bei freien Produktionen in Halle, Zürich, Genf, Chemnitz, Berlin und Leipzig. Zu ihren Inszenierungen gehört der Cézanne-Abend „Ich werde Paris mit einem Apfel erobern!“, der auch in Magdeburg zu sehen war.

„Plötzlich ging ein Fenster auf“, beschreibt Hercher den Schritt, sich nach ihrer ersten Ausstattung eher dem Bühnenbild zuzuwenden. „Ich habe schon immer gern gestaltet, und auch technisch schien ich nicht ganz unbegabt zu sein, also folgte ein Selbstlernen aller Dinge“, sagt sie mit einem Lächeln. Die mittlerweile auch stellvertretende Schauspieldirektorin hat seither unzählige Stücke in Magdeburg ausgestattet, darunter „Der Untergang des Hauses Usher“ als erste Musiktheaterproduktion und „Die Dreigroschenoper“ als erste Produktion im Opernhaus.

Die Stücke des aktuellen Projektes „Raumstation Paradies“ erlauben einen Blick aus unterschiedlichen Zeiten auf die Gegenwart. Während mit Lems „Solaris“ aus den 1960er Jahren ein echter Klassiker des Genres mit dem Heute konfrontiert wird, lässt „Clockwork Orange“, verfilmt Anfang der 1970er Jahre, einen Vergleich der Diskussionen über den Sinn von Überwachungen damals und heute zu. Alan Ayckbourns Komödie „Ab jetzt“ war 1989 noch eine Zukunftsvision zum Thema Mensch und Maschine. Das aus heutiger Sicht am realistischsten wirkende, kammerspielartige Stück „Zeit der Kannibalen“ über den Zynismus abgestumpfter, nur auf den Markt orientierter Globalplayer erfordert eben wegen dieser fatalen Heutigkeit den größtmöglichen Draufblick.

Ihr Bühnenbildentwurf habe beim Regisseur daher große Begeisterung ausgelöst, so Hercher. Möglicherweise ist eine so erschütternde Aktualität auch nur mit Abstand, also von einem Raumschiff aus zu ertragen.