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Theaterfestival Berliner Dämonen und slowenische Glückspilze

Beim Figurentheaterfestival „Blickwechsel“ in Magdeburg gastieren das Theater „Meschugge“ und das Ljubljana Puppet Theatre.

Von Kathrin Singer 27.06.2018, 23:01

Magdeburg l Verblüffende inhaltliche Parallelen verbindet die beiden ästhetisch sehr unterschiedlichen Produktionen: Unersättliche menschliche Gier hier und die Verbindung zu manipulierten vermeintlichen Glückspilzen dort.

Die Granddame des Puppentheaters, Ilka Schönbein, die am gleichen Abend noch selbst tanzend auf der Bühne zu erleben war, inszenierte mit „Stroh zu Gold“ eine vom Festivalpublikum bejubelte Variante des bekannten Märchens vom Rumpelstilzchen. Dafür benötigen die beiden Spielerinnen verblüffend wenige, einfache Mittel, um in ruhigen Bildern augenzwinkernd vom Geheimnis aller künstlerischen Kreativität zu erzählen.

Pauline Drünert lässt Figuren buchstäblich aus sich herauswachsen: Ein staubiger Mehlsack über den Fuß gestülpt nebst Kopf in der Hand wird zum untertänigen Müller, der seine Tochter an den König verkauft. Drünert, die auf einem kleinen, runden Podest thront, schlüpft in die Rolle der Müllerin, die von einem spinnenartigen Wesen belagert wird – Rumpelstilzchen als Dämon, der für seine Schöpferkraft nichts Geringeres will als das Leben. Ein großer aufgeklappter Regenschirm verwandelt sich im Handumdrehen in ein Spinnrad, Hochzeitskleid, Babybauch und Wiege.

Kongenial zur Seite steht ihr die Musikerin Alexandra Lupidi, die der Geschichte den nötigen Drive verpasst. Sie steppt, krächzt und zirpt zu Ukulele und Fidel mit einer betörenden Stimme, die eine gedämpfte Jazztrompete ebenso erklingen lassen kann wie eine klassische Liebesarie.

Die Verbindung von klassischem Marionettentheater mit modernsten Theaterformen der Gegenwart sucht die slowenische Produktion „Open the Owl“ des Ljubljana Puppet Theatre. Im Zentrum der Aufführung des seit genau siebzig Jahren bestehenden Ensembles stehen detailgetreu nachgebaute Miniaturmarionetten, mit der das Theater den „Vater“ des slowenischen Marionettentheaters, Milan Klemenčič, ehrt. Klemenčič war in den 1920er Jahren der Leiter des ersten professionellen Puppentheaters in Slowenien – eine Sammlung seiner Marionetten wird im Archiv des Ljubljana Puppet Theatre aufbewahrt und inspirierte Regisseur Renaud Herbin zu seiner multimedialen Inszenierung.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht Franz Poccis Figur des Baron Kauzenveit, der in eine Eule verwandelt wurde. Um wieder zu einem menschlichen Wesen zu werden, muss er sich – vom Kasperl – alle Federn ausreißen lassen. Diese wiederum haben Zauberkräfte ...

Herbins Inszenierung geht der Frage nach, was Manipulation, List und Täuschung aus Menschen macht, welchen Preis Unersättlichkeit und Machthunger haben. Dafür nutzt er zunächst die klassische Guckkastenbühne, die aber schnell aufgebrochen wird. Die Spieler Maja Kunšič und Iztok Lužar öffnen den Bühnenraum für die Zuschauer, die sich frei im Raum bewegen und dadurch das Geschehen aus vielen Perspektiven – ganz nah oder über die Bildschirme und Videoprojektionen – verfolgen können. Selten haben sich die Zuschauer wohl so ungern vom Bühnengeschehen getrennt, waren doch zahlreiche, liebevoll gestaltete Marionetten im Anschluss aus nächster Nähe zu bewundern.