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Paarfilm Brüggemanns „NÖ“: Skurril und voller Schmerz

Szenen einer Ehe, Szenen des Lebens: Regisseur Dietrich Brüggemanns dunkelhumorige Komödie ist so ungewöhnlich wie erfrischend, so entlarvend wie satirisch.

Von Matthias von Viereck, dpa Aktualisiert: 04.10.2021, 10:21
Alexander Khuon als Michael und Anna Brüggemann als in „Nö“.
Alexander Khuon als Michael und Anna Brüggemann als in „Nö“. -/FILMWELT/dpa

Berlin - Im Frühjahr gehörte er zu den Mitinitiatoren der umstrittenen Aktion #allesdichtmachen: der Regisseur, Musiker und Drehbuchautor Dietrich Brüggemann.

In einer Reihe von Kurzvideos kommentierten namhafte Filmschaffende wie Jan Josef Liefers die Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie auf mal vermeintlich satirische, mal vermeintlich ironische Art. Nicht nur Brüggemann wurde für die Teilnahme an der Aktion teils heftig kritisiert.

Im Strudel des Lebens

Im neuen Spielfilm des gebürtigen Müncheners kommt Corona, kommt die Pandemie mit keinem Wort vor. Um große Themen geht es gleichwohl, in dieser skurrilen, dieser ziemlich irren Komödie um ein Liebespaar im Strudel des Lebens. In den Hauptrollen zu sehen sind Anna Brüggemann und Alexander Khuon. Des Weiteren: Isolde Barth, Hanns Zischler, Petra Schmidt-Schaller und Mark Waschke.

„NÖ“ ist nach Werken wie „3 Zimmer/Küche/Bad“ und „Kreuzweg“ der schon fünfte Film, den das Geschwisterpaar Anna und Dietrich Brüggemann gemeinsam entwickelt hat. Während er, Dietrich, hinter der Kamera steht, ist sie, Anna, auch davor zu sehen. Es geht um die Nöte, die Sorgen, Wünsche und Ängste eines Paars, beide Anfang oder Mitte 30: Dina (A. Brüggemann) und Michael (Khuon).

„Ich denke manchmal, wir sollten uns trennen“, sagt er gleich zu Beginn. Doch diese Rechnung, die hat er ohne seine so resolute wie zerbrechliche Partnerin gemacht. Was folgt, ist ein auf wenige Szenen verteilter, mit wenigen Schnitten auskommender, sieben Jahre umspannender Reigen an Irritationen, Herausforderungen, Kämpfen und Versuchen, irgendwie als Paar klar zu kommen. Es geht um Familie und, nicht zuletzt, eine der größten Herausforderungen für viele Paare: das erste gemeinsame Kind.

Brutal ehrlich

Wiederholt reißt Brüggemann in „NÖ“ Löcher in die uns umgebende Realität: Da ist das unheimliche Monstergesicht, das den angehenden Vater beim ersten Baby-Ultraschall anglotzt. Da ist die, einen sehr skurrilen Verlauf nehmende Operation, da sind all die Szenen, in denen das Gewissen, das Über-Ich, die Angst der Protagonisten plötzlich auf erschreckende Art und Weise direkt zu den Figuren zu sprechen scheint.

Was ist es, wovor angehende Eltern Angst haben? Wovor fürchten wir uns als Gesellschaft in diesen irren, diesen verwirrenden Zeiten? Brüggemann legt seinen Finger nicht nur auf die Wunden, zuweilen bohrt er richtiggehend in diesen herum. Das ist mal irre komisch, mal auch einfach nur schockierend. Die brutal-nüchterne, die zynische Art etwa mit der der famose Mark Waschke den angespannten Eltern nicht nur (gegen deren Willen) das Geschlecht des Babys verrät, sondern auch zugleich voll Verachtung über diejenigen urteilt, die keinen pränatalen Test auf Trisomien wünschen.

„NÖ“ ist ein Film voller bemerkenswerter Szenen, die unter die Haut kriechen, die lustig sind und teils richtig wehtun, die immer wieder voll ins Schwarze treffen. So auch die wunderbare Szene, in der es Regisseur Brüggemann mit einfachsten Mittel gelingt, die Tragik des Elterndaseins auf einen Punkt zu bringen: Er braucht dafür nicht mehr als seine beiden Hauptdarsteller, eine stinknormale Küche, zwei Weingläser, eine Bierflasche und, als wichtigstes Utensil: ein Babyphon. Teils fühlt sich dieser Film, der sich als eine kaum bestimmbare Mischung aus Satire, Dystopie, Gesellschaftskritik und Persiflage präsentiert, an wie eine Wurzelbehandlung.

Absage an den Mainstream

Direkte Kommentare zur Corona-Politik sucht man vergebens (schon 2018 sollen die Dreharbeiten begonnen haben). Brüggemann aber kultiviert einen Ton, der sich absetzt vom restlichen deutschen Kinogeschehen, der stets bemüht ist um seine Andersartigkeit. Gleich der erste Dialog unterstreicht das: „Uns sind die selben Dinge egal, das ist das Wichtige“, heißt es dort. Auch Brüggemann und seiner wunderbaren Schwester Anna, die wieder toll schauspielert, scheint vieles von dem egal zu sein, was sich so etabliert hat im hiesigen Durchschnittskino.

Die Herangehensweise der beiden Geschwister, sie hat etwas sehr Erfrischendes - auch wenn sie nicht in jedem Moment dieses Films voll und ganz funktioniert. Schließlich ist es nicht zuletzt der Filmtitel selbst, der wie ein trotziges Statement wirkt: Mitmachen beim oft arg schablonenhaften, gefälligen deutschen Mainstream-Kino? Darauf hat Dietrich Brüggemann eine klare Antwort: „NÖ“.

Nö, Deutschland 2021, 119 Min., FSK ab 12, von Dietrich Brüggemann, mit Anna Brüggemann, Alexander Khuon, Isolde Barth,