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Chronologischer Aufbau Haus der europäischen Geschichte in Brüssel öffnet

Zehn Jahre hat es gedauert. Nun ist das Haus der europäischen Geschichte in Brüssel fertig. Die Kuratoren versprechen einen kritischen und transnationalen Zugang zur Geschichte des Kontinents und keinen Heiligenschrein für die EU. Gelingt das?

Von Matthias Arnold, dpa 05.05.2017, 10:44

Brüssel (dpa) - Der ehemalige EU-Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering mag keine verklärten Europa-Bilder. "Sehr oft hören wir, in Europa herrsche seit 60, 70 Jahren Frieden. Aber das stimmt nicht", sagt er im neuen Haus der europäischen Geschichte in Brüssel.

Pöttering verweist auf den Kosovo-Krieg in den 90er Jahren und die kriegsähnlichen Zustände in der Ostukraine. Europa war nie nur ein Hort des Friedens. Diese Botschaft werden Besucher auch aus dem Museum mitnehmen, das sich vor allem mit der europäischen Geschichte ab dem 19. Jahrhundert befasst.

Das Haus ist ein Projekt des Europäischen Parlaments, gestartet 2007 vom damaligen Präsidenten Pöttering. Zehn Jahre später ist es fertig - untergebracht in einer ehemaligen Zahnklinik mitten im Europaviertel in Brüssel. 55,4 Millionen Euro kosteten die Umbauten am sogenannten Eastman-Gebäude sowie Konzeption und Ausstattung der Ausstellung.

Das Haus ist zwar ein politisches Projekt, aber es soll wissenschaftlichen Standards genügen. "Wir haben uns nicht eingemischt in der Frage, welche Objekte gezeigt werden sollten und welche nicht", sagt Pöttering. "Das wissenschaftliche Team war wirklich unabhängig."

Die Macher wollten laut eigener Aussage vermeiden, eine reine Erfolgsgeschichte Europas zu schreiben. Geschichte verläuft schließlich nicht linear von einer schwierigen Vergangenheit hin zu einer leuchtenden Gegenwart. Dennoch lässt sich dieser Eindruck bei einem ersten Rundgang nicht vollständig abschütteln. Dies liegt schon allein an der klassisch chronologischen Aufbereitung europäischer Geschichte.

Die Ausstellung beginnt im ersten Stock mit dem europäischen Gründungsmythos und antiken Perspektiven auf den Kontinent. Schon kurz danach führt sie den Besucher in die Ereignisgeschichte des 19. Jahrhunderts. Die Revolutionen von 1848/49 waren vor allem für die westeuropäischen Reiche ein wichtiger Schritt hin zu modernen Staaten. Dabei unterschlagen die Kuratoren nicht Rolle und Bedeutung der napoleonischen Kriege mehrere Jahrzehnte zuvor.

So geht es weiter durch die klassischen historischen Themenfelder Europas: Industrialisierung und die damit verbundene Expansion der europäischen Großmächte mit all ihrer Grausamkeit. Schließlich Erster Weltkrieg, Zwischenkriegszeit, Zweiter Weltkrieg und Holocaust - bis den Besuchern in den oberen Stockwerken schließlich die Geschichte der europäischen Integration präsentiert wird.

Dieser chronologische Aufbau scheint auch der Zielgruppe geschuldet zu sein. "Wir gehen davon aus, dass viele unserer Besucher per se keine großen Vorkenntnisse der Geschichte haben. Sie blicken zudem meist aus einer nationalen Sichtweise auf die Dinge", sagt eine Kuratorin, die namentlich nicht genannt werden will. Diese Perspektive gelte es aufzubrechen.

Besonders eindrucksvoll gelingt den Machern das dort, wo sie persönliche Schicksale erzählen, wie das des Polen Janusz Paszynski. In den von Nazideutschland besetzten ost- und westeuropäischen Gebieten entstanden heimliche Untergrund-Schulen und -Universitäten, an denen auch Zeugnisse und Diplome überreicht wurden. Absolvent einer solchen Schule während der Kriegsjahre war Paszynski. Noch heute ist er laut einer der Kuratorinnen mit weit über 90 als Professor an polnischen Universitäten aktiv.

Immer wieder schaffen es die Macher, Bezüge zur Gegenwart herzustellen. Zu sehen sind etwa Fuß- und Genickfesseln für Sklaven der europäischen Großmächte vergangener Jahrhunderte. Darunter hängt ein Werk der britischen Graffiti-Legende Banksy. Es zeigt ein Kind, das mit einer Nähmaschine Großbritannien-Flaggen wie am Fließband produziert. "Forschungen zeigen, dass wir eine hohe absolute Zahl an modernen Sklaven haben", fährt die Kuratorin fort. "Wir wollen die Besucher anregen zu überlegen, welchen Anteil wir daran haben, wenn wir etwa ein T-Shirt für fünf Euro kaufen."

Das Haus der europäischen Geschichte soll dem Austausch und dem Dialog über Europa dienen. "Dies ist ein Ort, um Dinge zu verändern. Dies ist ein Ort für Debatten", sagt der aktuelle Präsident des EU-Parlaments, Antonio Tajani. 

Die Ausstellung zeigt auch, dass Gegenwart bald Geschichte sein kann: Auf einer großen Karte in den oberen Stockwerken markieren kleine Lämpchen die Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Noch leuchtet dort auch Großbritannien.

Haus der europäischen Geschichte

Infos des Europäischen Parlaments

Sonderprojekt des Hauses der europäischen Geschichte