Umstritten Die Fichte ist Baum des Jahres 2017
Die Fichte ist aus dem deutschen Landschaftsbild nicht wegzudenken. Für die Zukunft aber sehen Experten den Baum nicht gut gerüstet. Die Kür zum Baum des Jahres ist deshalb vor allem ein Anstoß zum Nachdenken.
Marktredwitz (dpa) - Die Fichte ist die am weitesten verbreitete Baumart in Deutschland und zugleich umstritten. Doch sie habe mehr Aufmerksamkeit verdient, findet die Stiftung Baum des Jahres und verleiht ihr deshalb auch diesen Titel für 2017.
Dabei geht es weniger um eine Jubelfeier, als um eine Diskussion - und um Kompetenz. Die fordert Silvius Wodarz, Umweltschützer und Präsident der Stiftung mit Sitz in Marktredwitz. Seit 27 Jahren ruft sie den Baum des Jahres aus. Um die Fichte aber, so schreibt die Stiftung, machte die Jury immer einen Bogen, denn: Die Fichte polarisiert.
Die Laudatio fällt entsprechend aus: Für die einen ist sie der Brotbaum der deutschen Forstwirtschaft, für die anderen der Inbegriff naturferner Monokulturen. Die Fichte habe eine Zukunft in Deutschland - auch in Zeiten des Klimawandels, sagt Wodarz. Es bedarf jedoch etwas Sachverstandes, um sie heute sinnvoll in den Wald zu integrieren.
Genau der aber fehlte lange. Das räche sich nun, sagt der Botaniker Stefan Ruge von der Hochschule für Forstwirtschaft in Rottenburg. Die Fichte (Picea abies) ist heute die häufigste Baumart in Deutschland gemessen an ihrem Flächenanteil. Sie bedeckt 24,2 Prozent der Waldflächen in Deutschland, wie die jüngste Bundeswaldinventur von 2012 zeigt. Häufig steht sie in Monokulturen, vor allem in Bayern und Baden-Württemberg.
Diese Vormacht hat die Fichte durch Menschenhand. Nach dem sogenannten hölzernen Zeitalter - das gesamte Mittelalter bis weit ins 19. Jahrhundert - war der Wald in Deutschland fast leer gerodet. Man hatte Holz für praktisch alles gebraucht, vom Löffel bis zur Wärme. Danach wurde vor allem mit der Fichte aufgeforstet. Auch in tiefen Lagen, wo sie eigentlich von Natur aus nicht hingehört, erklärt Ruge. Ähnlich war es nach dem Zweiten Weltkrieg.
Die Reparationszahlungen an Frankreich, England oder Russland leistete Deutschland teilweise in Holz, vor allem aus Südwestdeutschland. Zudem war Ruge zufolge die Forstverwaltung am Boden, und Trockenheit ließ dem Borkenkäfer viel Spiel. Auch dann forstete man wieder mit der Fichte auf - wiederum auch da, wo es für die Fichte nicht hoch genug war, zu warm oder nicht gut zum Wurzeln. Letzteres macht sie zum Sturm-Opfer, sie kippt leicht um.
Jetzt zahlen wir die Rechnung für die Monokulturen, sagt Ruge. Denn diese sind anfällig für Schädlingsbefall. Außerdem ist die Fichte für den Klimawandel nicht gut gerüstet. Stürme und Trockenheit machen ihr zu schaffen - und eben die Borkenkäfer, die geschwächten Bäumen den letzten Rest geben. Deshalb sind viele Fichten gestorben. Zwar stehen sie - wie gesagt - noch immer an erster Stelle unter den Baumarten, doch ihr Bestand sank von 2002 bis 2012 um vier Prozent.
Das macht der Holzindustrie und dem Handwerk Sorgen, sie sind Ruge zufolge oft auf leichtes Holz wie dem der Fichte angewiesen. Für Dachstühle etwa ist zum Beispiel Eichenholz zu schwer.
Der Rückgang der Fichte ist wohl noch nicht zu Ende. Es gibt noch viele ältere Wälder, mit denen wir leben müssen, sagt Ruge - und damit viele Fichten, die bedroht sind. Grund sei auch der Klimawandel. Wenn sich die Temperatur um zwei Grad erhöht, dann wird die Fichte unterhalb von 700 oder 800 Metern nicht überleben, prognostiziert Ruge. Dafür werden andere Baumarten zunehmen, etwa die Sommerlinde. Das sei aber ein langsamer Prozess. Das Klima ändert sich schneller als die Bäume wandern, das ist unser Problem.
Deshalb versuchen ihm zufolge die Länder und der Bund standortgerecht aufzuforsten: das heißt, einen Mischwald aus Laub- und Nadelbäumen zu bilden und die Fichte nur da zu pflanzen, wo sie leben kann. Dafür gibt es flächendeckend Karten - zumindest für öffentlichen Wald. Für Privatwald, sagt Ruge, gelte das nicht in jedem Fall. Der aber macht fast die Hälfte des Waldes in Deutschland aus.
Eine Alternative zur Fichte ist die Douglasie, die besser mit Trockenheit zurechtkommt. Die Industrie wünscht sich Ruge zufolge mehr davon, Naturschützer aber haben Bedenken, da sie als eingeführter Baum heimische Arten verdrängen könnte. Bisher bedeckt die Douglasie bundesweit zwei Prozent der Waldfläche. Sie ist in aller Regel unproblematisch, meint Ruge. Ein Anstieg auf zum Beispiel sechs Prozent wäre seiner Ansicht nach vertretbar. Dennoch: Fichte und Kiefer ganz ersetzen dürfe die Douglasie nicht. Wenn die Hälfte aller Waldbäume Douglasien wären, wäre das eine Katastrophe fürs Landschaftsbild - und wegen der Anfälligkeit für Schädlinge.