Hilfe für Suizidgefährdete: Wieder einen Weg erkennen können
Dass Menschen nicht mehr leben wollen, heißt eigentlich nur eines: Sie wollen so wie jetzt nicht mehr leben, sagt ein Experte. Schon kleine Gespräche könnten oft weiterhelfen.
Münster (dpa/lnw) - Mehr als 10 000 Menschen nehmen sich jährlich in Deutschland das Leben. Dabei kann man Betroffenen eigentlich gut helfen, sagt Willi Riemer von der Krisenhilfe Münster im Interview der Deutschen Presse-Agentur.
Frage: Was bewegt einen Menschen dazu, nicht mehr Leben zu wollen?
Antwort: Ich will nicht mehr leben bedeutet eigentlich: Ich will so nicht mehr leben. Es sind in der Regel komplexe Themen, die uns Menschen in tiefe Krisen stürzen. Wenn zum Beispiel jemand seinen Job verliert, bedeutet das nicht nur den Verlust des Arbeitsplatzes, sondern auch den Verlust von finanzieller Sicherheit und sozialer Anerkennung. Der Betroffene sieht in seinem Leben keine Perspektive mehr. Ein Beispiel ist Griechenland. Früher hat es dort verschwindend wenige Suizide gegeben. Aber als Griechenland in die Krise gekommen ist, sind die Zahlen sprunghaft angestiegen.
Frage: Woran können Freunde und Familienmitglieder merken, dass jemand suizidgefährdet ist?
Antwort: Die Angehörigen fallen oft aus allen Wolken und sagen: Oh Gott, ich habe ja gar nichts gemerkt. Können sie auch nicht. Wenn der Entschluss wirklich gefallen ist, sind suizidgefährdete Menschen ganz ruhig, und das Umfeld bekommt nichts mit. Aber Signale können zum Beispiel sein, dass Menschen ihre Art der Kommunikation und ihre Art zu leben oder auch ihre Werte plötzlich verändern. Rückzug kann ein Hinweis sein oder auch das Regeln von Hab und Gut. Der Betroffene verschenkt dann Sachen, die ihm viel bedeutet haben. Manchmal fallen Bemerkungen, die auf den Suizid hinweisen, aber in dem Kontext nicht verstanden werden.
Frage: Was hilft suizidgefährdeten Menschen?
Antwort: Sie müssen wieder einen Weg für sich erkennen. Das, was sich den Menschen als großes Chaos darstellt, in dem es keine Perspektive gibt, kann im gemeinsamen Gespräch sortiert werden. Durch das Differenzieren wird sichtbar, welche Problembereiche es gibt. Welcher Schuh drückt am meisten?, ist eine wichtige Frage. Durch das Sortieren wird der Druck insgesamt schon reduziert. Der Berg kann sprichwörtlich nur Stein für Stein abgetragen werden.
ZUR PERSON: Willi Riemer hat bei der Krisenhilfe Münster 15 Jahre lang selbst Betroffene und Angehörige begleitet. Der 67-jährige ehemalige Pastoralreferent arbeitet intensiv mit Trauernden und berät ehrenamtlich Menschen in Lebenskrisen.