Hitzschlag und Tigermücke Klimaerwärmung hat deutliche Auswirkungen auf die Gesundheit
Der Klimawandel wird etliche Faktoren beeinflussen: Ernten, wirtschaftliche Entwicklung, Flüchtlingsströme. Rund 100 Forscher warnen: Auch auf die Gesundheit sind die Auswirkungen groß - vor allem bei Kindern.
London (dpa) - Der Klimawandel schädigt bereits heute die Gesundheit vieler Menschen, insbesondere die von Kindern.
Bei einem Weiterwirtschaften wie bisher "wird das Leben jedes heute geborenen Kindes tiefgreifend vom Klimawandel beeinträchtigt werden", berichtet das Konsortium The Lancet Countdown, zu dem rund 100 Experten gehören.
Einen halben Monat vor der UN-Klimakonferenz in Madrid bilanzieren die Experten aus 35 Institutionen wie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Universitäten im Fachjournal "The Lancet" die aktuellen und künftigen Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit. Gehe der CO2-Ausstoß weiter wie bisher, werde ein derzeit geborenes Kind an seinem 71. Geburtstag im Schnitt in einer um 4 Grad wärmeren Welt leben.
Deutsche Mediziner fordern mit Blick auf den globalen Bericht einen nationalen Hitzeschutzplan. Häufigkeit, Dauer und Intensität von Hitzewellen nähmen weiter zu, warnte Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, am Donnerstag in Berlin. Das erfordere besser vorbereitete Rettungsdienste, Kliniken, Alten- und Pflegeheime. Die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels würden nicht irgendwann in weit entfernten Weltgegenden spürbar, sondern hier und heute.
"Das Thema Gesundheit spielte beim Klimawandel lange keine Rolle", erläuterte Sabine Gabrysch, Professorin für Klimawandel und Gesundheit an der Berliner Charité. Das habe sich geändert. Schon heute sind Auswirkungen auch hierzulande zu spüren, wie ein zusätzlicher Bericht von Wissenschaftlern für Deutschland belegt.
Nach einer Analyse des Helmholtz Zentrums München gibt es bereits jetzt mehr Herzinfarkte und Todesfälle infolge von Herz-Kreislauf-Erkrankungen an heißen Tagen. Das Problem kann nach dem "The Lancet"-Bericht noch ganz andere Dimensionen bekommen: Wenn sich nichts am Ausstoß von Treibhausgasen ändert, rechnen die Forscher bis zum Ende dieses Jahrhunderts mit jährlich fünf zusätzlichen Hitzewellen in Norddeutschland und mit bis zu 30 mehr in Süddeutschland.
In Alten- und Pflegeheimen sei künftig mehr Personal nötig, etwa um sicherzustellen, dass Senioren ausreichend trinken, sagte Reinhardt. Neben Hitzschlägen drohe sonst akutes Nierenversagen durch Flüssigkeitsmangel. Am stärksten durch Hitze gefährdet seien neben älteren Menschen Säuglinge, chronisch Kranke und Arbeitskräfte im Freien, darunter Bauarbeiter und Landwirte. "Wir begreifen es als unsere ärztliche Pflicht, diese Auswirkungen klar zu benennen und entsprechende Maßnahmen einzufordern."
Zecken und Mücken als Überträger tropischer Infektionskrankheiten spielen mit steigenden Temperaturen auch in unseren Breiten zunehmend eine Rolle. West-Nil-Fieber wurde in diesem Jahr erstmals bei Menschen in Deutschland festgestellt, die sich mit dem Virus nicht bei Reisen im Ausland, sondern beim Stich heimischer Mücken ansteckten. Zika-Infektionen durch dort heimische Tigermücken wurden erstmals aus Südfrankreich gemeldet. Die Mücken können auch Dengue und Chikungunya übertragen.
Für Sebastian Ulbert vom Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie in Leipzig müssen deutsche Ärzte von Mücken übertragene Erreger künftig verstärkt "auf dem Schirm" haben. "So blieben dieses Jahr zum Beispiel die meisten West-Nil-Virus-Infektionen unerkannt, weil bei Grippe-ähnlichen Symptomen niemand an diesen Erreger dachte." Nötig seien Fortbildungen und gute Testsysteme.
Allergieforscher Torsten Zuberbier von der Charité in Berlin begrüßt den Report. Es fehle ihm jedoch ein wichtiger Aspekt: Durch den Klimawandel habe sich auch Pollenflug verstärkt und die Blütezeit verlängert. Zudem breiteten sich allergene Pflanzenarten wie etwa Ambrosia in Europa weiter aus.
Dazu kommt laut Lancet-Bericht eine Gruppe von Bakterien, die Vibrionen, als zunehmende Gefahr - auch in der Ostsee. Die Erreger können Magen-Darm- und Wundinfektionen verursachen. Seit den 1980er Jahren habe sich aufgrund höherer Wassertemperaturen die Anzahl der Tage verdoppelt, an denen man sich mit Vibrionen in der Ostsee anstecken kann. 2018 waren es schon 107 Tage.
Vom globalen Klimawandel seien Kinder am stärksten betroffen, betonte Nick Watts, Chef des internationalen Lancet-Konsortiums. Ernterückgänge durch den Klimawandel und Unterernährung als Folge träfen sie zum Beispiel am schlimmsten. Dazu hätten Menschen in 77 Prozent der Länder zunehmend mit Waldbränden und ähnlichen Feuern zu kämpfen. Die Luftverschmutzung insgesamt habe 2016 weltweit zu 7 Millionen Todesfällen geführt, 2,9 Millionen davon habe Feinstaub verursacht.
In Deutschland trug die Feinstaubbelastung (PM 2,5) 2016 laut Bericht zu über 44.800 frühzeitigen Todesfällen bei, 8000 davon seien auf die Verbrennung von Kohle zurückzuführen. Feinstaub stammt unter anderem auch aus dem Verkehr und der Industrie.
Würde die Erderwärmung dagegen auf 1,5 Grad begrenzt - wie im Pariser Klimaabkommen gewünscht - und würden Versprechen der Länder eingehalten, sehe es für die Zukunft besser aus, so die Forscher. Ein Kind in England könnte dann mit sechs Jahren den Kohleausstieg erleben, in Frankreich mit 21 Jahren den Abschied von Benzin- und Dieselautos und alle heute Geborenen weltweit könnten mit 31 Jahren erleben, dass nur noch so viel CO2 produziert wird, wie von der Natur oder mit technischen Mitteln aufgenommen werden kann. Zugleich könnte die Luft reiner und die Infrastruktur besser sein.
Die Autoren haben vier Kernforderungen: Eine schnelle und komplette Abkehr vom Kohlestrom weltweit sowie eine Sicherheit dafür, dass die reichen Staaten wie zugesagt den ärmeren ab 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar an Klimaunterstützung geben. Zudem sei es notwendig, den öffentlichen Verkehr sowie das Gehen und Radfahren zu fördern. Wichtig sei es auch, in Gesundheitssysteme zu investieren, damit sie durch die Erderwärmung geschädigten Menschen helfen können und nicht zusammenbrechen.