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Gesteigerte Lebenserwartung Schon gehört? Experte hält Tratschen für gesund

Angelina und Brad lassen sich scheiden - darüber kann man so richtig tratschen. Nach wissenschaftlicher Lehrmeinung braucht man deswegen noch nicht mal ein schlechtes Gewissen zu haben. Ganz im Gegenteil.

Von Christoph Driessen, dpa 22.09.2016, 11:45

Berlin (dpa) - Na, in den letzten Tagen ordentlich über die Scheidung von Angelina Jolie und Brad Pitt hergezogen? Gut so, den Hausarzt wird es freuen! Denn Klatsch ist gesund - sagt ein führender Wissenschaftler. Mehr noch: Tratschen ist es demnach, was den Menschen vom Tier unterscheidet.

Als Experte auf diesem Gebiet gilt seit vielen Jahren der britische Evolutionspsychologe Robin Dunbar von der Universität Oxford. Seine Theorie, zusammengefasst: Der Klatsch stammt von der Fellpflege der Affen ab. Fellpflege dient dem Zusammenhalt der Gruppe, ist jedoch äußerst zeitintensiv. Daher die Entstehung der menschlichen Sprache.

Plaudern ist effektiver als Kraulen, weil man mit Worten gleich mehrere Sozialpartner auf einmal erreichen kann. Zum Beispiel, wenn man mit Kollegen auf dem Flur zusammensteht oder abends bei einer Party mit Freunden. Nichts wird dabei so begierig aufgesogen wie der neue Tratsch über gemeinsame Bekannte.

Pssst, schon gehört...? Wer gut lästern kann, findet viele Zuhörer. Und wer viele Sozialkontakte hat, hat eine deutlich höhere Lebenserwartung. Dunbar geht so weit zu sagen: Der wichtigste Überlebensfaktor ist die Größe des sozialen Netzwerks. Es hat einen stärkeren Effekt als alles andere - Rauchen mal ausgenommen.

Tratschen stärkt das Gemeinschaftsgefühl. Je kleiner und geschlossener die Gruppe, desto mehr wird getratscht - auf dem Dorf zum Beispiel mehr als in der Stadt. Der Tratsch hat auch die Funktion eines Frühwarnsystems: Wenn man immer wieder Schlechtes über jemanden hört, nimmt man sich vor ihm in Acht. Übrigens haben gleich mehrere Studien ergeben, dass Männer genauso viel tratschen wie Frauen.

Damit ist allerdings noch nicht erklärt, warum sich viele Menschen so sehr für Klatsch über Leute interessieren, die sie noch nie getroffen haben und aller Voraussicht nach auch niemals treffen werden, wie zum Beispiel Jolie und Pitt.

Dafür gibt es folgende Erklärung: Stars sind für viele Menschen Rollenvorbilder. Brad und Ange - wie die Fans sie nennen - waren womöglich gar das einflussreichste Promi-Paar des Planeten. Sie waren ziemlich lang zusammen, zumindest nach Hollywood-Maßstäben. In dem Moment, wo das zusammenbricht, ist das für Menschen, die sich dafür interessieren, eine Erschütterung ihrer bisherigen Wertvorstellungen, analysiert Angela Keppler, Professorin für Kommunikationswissenschaft an der Universität Mannheim.

Im Extremfall können sich mit solchen Erschütterungen soziale Normen verändern, meint der auf Klatsch-Forschung spezialisierte US-Psychologe Charles Walker. Ewige Liebe? Gibt's vielleicht doch nicht. Andere Studien deuten darauf hin, dass gerade mit Beziehungsdesastern wie gescheiterten Promi-Ehen moralische Lektionen transportiert werden. Zum Beispiel, unabhängig von Jolie und Pitt: Fremdgehen rächt sich, sollte man lassen. Das wäre dann ein ähnliches Prinzip wie beim Märchen.

Davon abgesehen hat es noch zwei praktische Vorteile, ausgerechnet über Promis herzuziehen. Erstens kennt sie jeder, man kann also am Frühstückstisch genauso über sie ablästern wie mittags in der Kantine. Zweitens werden die Betroffenen nie davon erfahren. Wird über den Kollegen gesprochen, könnte der es mitkriegen und einen drauf ansprechen - wie peinlich! Aber Brad? Brad wird sich nicht melden. Und wenn doch, dann hätte man eine so gute Geschichte zu erzählen, dass die Lebenserwartung gleich um ein paar Jahre steigen könnte.

Literatur u.a.: Robin Dunbar: Klatsch und Tratsch, Wie der Mensch zur Sprache fand, Bertelsmann 1998. Jörg E. Bergmann: Klatsch: Zur Sozialform der diskreten Indiskretion, De Gruyter 2012.