Fast jeder zweite Erwerbstätige macht inzwischen private Kurse zur Fortbildung Weiterbildung - früher Kür, heute Pflicht
Weiterbildungen sind heute ein Muss, um im Beruf am Ball zu bleiben. Aber nur knapp jeder zweite Erwerbstätige tut etwas dafür. Nach Ansicht von Experten ist das zu wenig.
Nürnberg l Viele müssen gar nicht lange überlegen. Dann fällt ihnen eine Veränderung in ihrem persönlichen Arbeitsalltag ein. Da ist ein neues Betriebssystem, das ganz anders aussieht als das alte. Es gibt ein neues Gerät, das den alten Arbeitsablauf verkürzt. Da sind neue Kommunikationskanäle, die neue Fähigkeiten verlangen. Scheinbar von einem Tag auf den anderen verändert sich die eigene Arbeitswelt - und plötzlich schleicht sich das Gefühl ein, nicht mehr up to date zu sein.
Auf der Höhe der Zeit zu bleiben, ist laut Prof. Lutz Bellmann vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung eine der wesentlichen Herausforderungen an den Berufstätigen von morgen. "Denn die Bedingungen am Arbeitsplatz wandeln sich immer schneller." Der technische Fortschritt und die Internationalisierung des Wirtschaftslebens zwinge viele Firmen dazu, sich immer neu anzupassen. Das bringe auch viele Veränderungen für die Arbeitnehmer mit sich - und die Notwendigkeit, sich permanent weiterzubilden.
"Niemand darf heute mehr damit rechnen, seinen Arbeitsplatz für die nächsten zwanzig Jahre zu haben", sagt Bellmann. Es sei auch unwahrscheinlich, dass jemand, der heute in den Beruf einsteigt, über dreißig oder vierzig Jahre dieselbe Arbeit macht. Umso wichtiger sei es, dafür zu sorgen, auf der Höhe der Zeit zu bleiben. "Früher war Weiterbildung im Job eher die Kür, heute ist sie eine Notwendigkeit."
Weiterbildung - das ist ein vager Begriff. Gemeint ist damit jedes Dazulernen nach dem ersten Berufsabschluss. Abgesehen von dem erhöhten Anpassungsdruck sind die Motive für einen Fernlehrgang, ein Seminar oder einen Workshop seit Jahren immer die gleichen: "Einer möchte etwas für seine Karriere tun, der Nächste will mehr Geld verdienen, der Dritte will in seinem Job besser werden, und der Vierte will sich vor Arbeitslosigkeit schützen", sagt Knut Diekmann, zuständig für den Bereich Weiterbildung beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK).
Das Engagement der Deutschen ist beim Thema Weiterbildung seit Jahren verhältnismäßig konstant: So hat 2010 fast jeder zweite Erwachsene im Erwerbsalter (42 Prozent) eine Weiterbildung gemacht. Das hat eine repräsentative Umfrage von TNS Infratest Sozialforschung ergeben. Für die Studie wurden im Auftrag des Bundesministeriums für Forschung und Bildung 7035 Personen befragt. Schon zehn Jahre zuvor lag die Teilnahmequote bei Weiterbildungen ähnlich hoch - nämlich bei 43 Prozent. Im Vergleich zu 2007 ist der Wert leicht zurückgegangen (44 Prozent).
"Wichtig ist, sich nicht erst weiterzubilden, wenn die Probleme da sind."
Prof. Lutz Bellmann
Dem gegenüber steht ein für den Einzelnen kaum zu überschauender Markt. Die Zahl der Angebote liegt laut der Datenbank Kursnet der Bundesagentur für Arbeit bei circa 670 000. Nach jüngsten Daten des Bundesinstituts für Berufsbildung und des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung gibt es rund 20 000 Anbieter von Weiterbildungen in Deutschland. Am häufigsten sind kommerzielle Privatanbieter (29 Prozent), gefolgt von gemeinnützigen Privatanbietern (16 Prozent). Rund jede siebte Veranstaltung (15 Prozent) wird von einer Volkshochschule angeboten. Aber woher weiß der Einzelne überhaupt, dass es an der Zeit ist für eine Weiterbildung?
"Googeln", rät die Karriereberaterin Svenja Hofert. Sie empfiehlt, sich einmal pro Jahr hinzusetzen und nach Stellenausschreibungen zu suchen, die auf die derzeitige Position passen. "Spätestens, wenn dort etwas verlangt wird, das ich nicht beherrsche, sollte ich mich weiterbilden."
Als Ziel könnten sich Berufstätige setzen, eine Weiterbildung pro Jahr zu machen. Das müsse nicht immer eine fachliche Fortbildung sein. Gut sei auch, Soft Skills wie Teamarbeit zu schulen. Wer sich zu diesem jährlichen Modernisierungskurs zwingt, läuft weniger Gefahr, irgendwann hinterherzuhinken.
Gut sei auch, bei Gehaltsverhandlungen nach einem Weiterbildungsbudget zu fragen. In vielen Firmen hätten Mitarbeiter pro Jahr einen bestimmten Freibetrag zur Verfügung, den sie für Weiterbildungen nutzen können.
"Wichtig ist, sich nicht erst weiterzubilden, wenn die Probleme da sind und ein Arbeitnehmer droht, den Anschluss zu verpassen", sagt Prof. Bellmann. Besser sei, kontinuierlich am Ball zu bleiben. Dabei sind einige Gruppen weniger aktiv als andere.
"Es sind vor allem Geringqualifizierte, Frauen in Teilzeitpositionen und Berufstätige mit Migrationshintergrund, die sich laut Statistik weniger stark als andere Berufstätige weiterbilden", sagt Diekmann vom DIHK. Sie sollten deshalb besonders darauf achten, dass sie den Anschluss nicht verpassen. Aber auch alle anderen sollten sich ranhalten, sagt Knut Diekmann. "Die Zeit, in der man dachte, nach der Schule liegen die Prüfungen hinter einem, sind definitiv vorbei." (dpa)