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Arbeit oder Rente Doppelte Begutachtung nur selten notwendig

Viele Patienten müssen nach langer, schwerer Krankheit die Begutachtung durch verschiedene Ärzte über sich ergehen lassen.

Von Gudrun Oelze 08.04.2018, 23:01

Bernburg l Weil sie zu einem anberaumten Termin beim ärztlichen Dienst der Agentur für Arbeit Bernburg nicht erschienen war, wurde einer Leserin aus dem Salzlandkreis mit einer Sperre beim Arbeitslosengeld gedroht. Das bezieht sie nach langer Krankschreibung und anschließender Reha seit August 2017. Da sie nicht mehr in der Altenpflege arbeiten kann und sich beruflich neu orientieren muss, hat sie auch Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben der Deutschen Rentenversicherung (DRV).

Diese vermittelte ihr eine Reintegrationsmaßnahme mit Praktikum, weshalb sie der Einladung der Arbeitsagentur zu deren ärztlichem Dienst nicht folgte, zumal die dortige Untersuchung als freiwillig angekündigt war. „Da ich den Termin nicht wahrnahm, droht mir nun eine Sperre von einer Woche, da angeblich meine Mitwirkung fehlt“, teilte uns die Leserin mit. Aber während der Reha sei doch bereits festgestellt worden, dass sie arbeiten könne, nur eben nicht im alten Beruf. „Müssen denn Untersuchungen doppelt und dreifach durchgeführt werden? Wer denkt an die Kosten? Zählen unabhängig voneinander gestellte Diagnosen niedergelassener Fachärzte und Reha-Ärzte gar nichts?“, fragt sie sich.

Ähnlich erging es einer langjährig Versicherten im Harz, die seit Ende 2015 ohne Unterbrechung krankgeschrieben war. Bei ihr hatte der Amtsarzt der Arbeitsagentur bereits festgestellt, dass sie weniger als drei Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbar sei. Dieses Gutachten aber reichte der Rentenversicherung nicht, um über den EU-Rentenantrag der Frau zu entscheiden.

Ein von der DRV bestellter medizinischer Gutachter kam auch zu einem anderen Ergebnis als der Kollege bei der Arbeitsagentur. Das Gutachten der DRV werde höher bewertet, teilte man der verdutzten Leserin mit, die sich daraufhin ebenfalls fragte: „Wie kann das sein, beide – die Agentur für Arbeit als auch die Deutsche Rentenversicherung – sind Körperschaften des öffentlichen Rechts. Also greifen doch wohl auf beiden Seiten die Vorschriften und Gesetze der Bundesrepublik. Wie kann dann das Gutachten des Arbeitsamtsarztes geringer gewertet werden als das des von der DRV bestellten Mediziners?“

Über die sozialmedizinische Leistungsbeurteilung im Rentenverfahren entscheidet grundsätzlich der beratungsärztliche Dienst der DRV mit seinem rentenversicherungsspezifisch medizinischen Wissen, informierte auf Anfrage des Leser-Obmanns Dr. Kerstin Weit.

In dessen Ermessen liege auch, ob (zum Teil auch weitere) ärztliche Befunde beziehungsweise medizinische Gutachten erforderlich sind. „Vorliegende oder bekannt gewordene Gutachten oder ärztliche Unterlagen der Agentur für Arbeit oder des Jobcenters, die möglichst nicht älter als ein Jahr sein sollten, werden im Rahmen der medizinischen Sachaufklärung immer beigezogen und bei der Prüfung des Einzelfalles gewürdigt und ausgewertet“, so die Sprecherin der DRV Bund. Sie betonte aber, dass Rentenversicherung und Bundesagentur für Arbeit auf verschiedenen Rechtsgrundlagen arbeiten. Im Falle unserer Leserin habe ein Befundbericht gefehlt. Als dieser nun vorlag, so die Antwort aus Berlin, wurde „im Rahmen der Einzelfallwürdigung“ die beantragte Rente rückwirkend bewilligt.

Und auch im Salzlandkreis hatte der nicht wahrgenommene Termin zur Begutachtung beim ärztlichen Dienst nach Anfrage des Leser-Obmanns keine negativen Folgen. Bei gesundheitlichen Einschränkungen ist zum Schutz des Kunden dessen Leistungsfähigkeit zu prüfen, hieß es in der Stellungnahme der Agentur für Arbeit Bernburg. „Eine Vermittlung in Arbeit darf nur entsprechend der gesundheitlich-geistigen sowie der körperlichen und der persönlichen Eignung und Neigung des Einzelnen erfolgen“, teilte Heike Wunschik mit, räumte jedoch ein, dass im konkreten Fall eine ärztliche Begutachtung des hauseigenen medizinischen Dienstes entbehrlich gewesen wäre.

Der Fall sei bereits ausgewertet worden. In Zukunft wolle das Agentur-Personal noch sensibler als bisher individuelle Kundenbedürfnisse berücksichtigen. Der Leserin wünsche man eine erfolgreiche Teilnahme an ihrer beruflichen Integrationsmaßnahme und eine dauerhafte Beschäftigung.