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Prozess Erbe muss auch für Schulden aufkommen

Die Volksstimme berichtete im Dezember 2018 über einen Zivilprozess nach einer Schießerei 2013 in Tangermünde.

Von Gudrun Oelze 21.01.2019, 08:48

Tangermünde l Dass die Eltern eines Verstorbenen Schmerzensgeld an den Überlebenden und unter Umständen auch für dessen medizinische Versorgung zahlen sollen, hat einen Leser aus dem Jerichower Land „sehr erschüttert“. Bisher habe er geglaubt, in Deutschland gebe es keine Sippenhaft. Bedeute die in der Zeitung veröffentlichte Entscheidung des Gerichtes nun aber, dass Eltern zivilrechtlich für Verbrechen ihrer erwachsenen gestorbenen Kinder haften?, wollte er wissen.

„Diese Frage ist grundsätzlich zu bejahen“, sagt Rechtsanwältin Romy Gille aus Gardelegen. Denn laut dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) ist zum Schadenersatz verpflichtet, wer fremdes Rechtsgut verletzt, ob es nun das Eigentum, den Körper oder die Gesundheit eines anderen betrifft. Dabei ist es unerheblich, ob dies vorsätzlich oder fahrlässig (wobei bei leichter Fahrlässigkeit Haftungseinschränkungen in Betracht kommen) erfolgte. Lediglich in Fällen wie Notwehr sowie bei verminderter oder fehlender Schuldfähigkeit des „Täters“ könnte der Sachverhalt anders beurteilt werden. Ansonsten müsse er für die entstandenen Nachteile einstehen, nicht nur gegenüber dem Geschädigten selbst, sondern auch gegenüber Dritten wie unterhaltsberechtigten Personen, Arbeitgeber, Krankenversicherung.

Verstirbt jemand, hinterlässt er meist Vermögen in Form von Aktiva (positive Vermögenswerte) und Passiva (negative Vermögenswerte). „Üblicherweise denkt man bei passiven Vermögenswerten im Nachlass eher an die Beerdigungskosten oder die noch nicht zurückgezahlte Haus- oder Autofinanzierung“, räumt Rechtsanwältin Gille ein. „Doch der Erblasser vererbt auch weitere Schulden – wie in dem hier angesprochenen Fall.“ Ist keine letztwillige Verfügung (zumeist als Testament) vorhanden, erben die nächsten Verwandten ohne ihr Zutun im Rahmen der gesetzlichen Erbfolge alles, was der Verstorbene hinterlassen hat.

Sind die Schulden höher als das geerbte Vermögen oder ist das Erbe aus anderen Gründen nachteilhaft, „kann sich der Erbe durch Ausschlagung der Erbschaft davon befreien, das Erbe anzutreten.“ Das ist jedoch nur binnen sechs Wochen ab Kenntnis von der eigenen Erbschaft möglich. Dazu ist eine Erklärung vor dem zuständigen Nachlassgericht (Amtsgericht für den letzten Wohnort des Verstorbenen), dem für den eigenen Wohnort des Erben zuständigen Amtsgericht oder einem Notar erforderlich.

Erfolgt die Ausschlagung nicht fristgerecht, „ist der Erbe für die Schulden des Erblassers, also auch für die Folgen einer Straftat, verantwortlich“, betont die Juristin. Aus Erfahrung wisse sie, dass in derartigen Fällen nicht selten unberechtigte, etwa verjährte oder nicht nachgewiesene Forderungen erhoben werden – weshalb der Sachverhalt einer gründlichen Prüfung unterzogen werden sollte. Die Rechtsanwältin empfiehlt daher, im Erbfall unbedingt die Ausschlagungsfrist zu nutzen, um sich ein umfassendes Bild über den Inhalt des Erbes zu verschaffen, bevor es angetreten wird.

„Diese Darstellung der Rechtslage leuchtet mir ein“, reagierte der Leser aus dem Jerichower Land auf die Informationen der Juristin. Offenbar sei es nicht so, dass Eltern generell für Schulden ihrer erwachsenen Kinder haften. Nur dann, wenn Eltern erben, erben sie die Schulden mit, schrieb er.

„Logischerweise kann ich mir bei einer Erbschaft nicht die Rosinen rauspicken. Entweder ich nehme sie an, dann muss ich auch Verbindlichkeiten bedienen … oder ich verzichte auf mein Erbe, was nach meiner Erfahrung zunimmt.“