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Neues Buch Promi-Geburtstag vom 11. November: Hans Magnus Enzensberger

Die Worte von Hans Magnus Enzensberger haben Gewicht, gilt er doch als einer der bedeutendsten Lyriker und Intellektuellen in Deutschland. Im Rampenlicht will er aber trotzdem nicht stehen, auch wenn es dazu einen guten Grund gäbe: Der Münchner wird nämlich 90.

Von Wilfried Mommert und Cordula Dieckmann, dpa 10.11.2019, 23:01

München (dpa) - Hans Magnus Enzensberger ist kein Mann der leisen Töne. Pointiert und gern auch unbequem oder gar spöttisch meldet er sich zu Wort. Ein Lyriker, Intellektueller und politischer Denker, der neben Günter Grass, Martin Walser, Uwe Johnson und Heinrich Böll zu den prägenden Autoren der bundesdeutschen Nachkriegsliteratur zählt.

Heute wird Enzensberger nun 90 Jahre alt. Feiern wolle er im kleinen Kreis, ließ er über seinen Verlag Suhrkamp verkünden. Seinen Lesern macht er aber zu seinem Geburtstag ein Geschenk: "Fallobst" heißt sein neues Werk, ein "Notizbuch" mit Gedankensplittern, Beobachtungen, Literaturzitaten und Glossen.

Einen "Bruder Lustig" mit einer "gutgelaunten Kälte" und "bissiger Teilnahmslosigkeit" nannte ihn der 2015 gestorbene Autor und Kritiker Fritz J. Raddatz in seinen Tagebüchern. Am 11. November 1929 wurde Enzensberger in Kaufbeuren im Allgäu geboren. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges betrieb er Schwarzhandel, dolmetschte für die US-amerikanischen und britischen Besatzer und machte schließlich 1949 Abitur in Nördlingen.

Von seiner Heimat war er desillusioniert. Das viergeteilte Deutschland empfand er als "moralische Wüste". Es sei "kein vielversprechender Beruf, Deutscher zu sein", erinnerte er sich und in seiner "Verteidigung eines Agnostikers" notierte er, "Ich wollte lieber schreiben". Der Nachteil: ein Gefühl, dass er "nirgendwo voll und ganz dazugehört".

Mitgemischt hat der einstige "junge Wilde" der Nachkriegsliteratur dennoch, im legendären Literaturclub der Bundesrepublik "Gruppe 47" oder bei den rebellischen 1968ern. Über seine Zeit in der damaligen Außerparlamentarischen Opposition (APO) gegen die Große Koalition in Bonn in den 60er Jahren gibt auch eines seiner Erinnerungsbücher mit dem vielsagenden Titel "Tumult" Auskunft. In dieser Zeit gründete er auch 1965 das Kulturmagazin "Kursbuch". Es waren bewegte Jahre, in denen Enzensberger vieles ausprobierte. Er war Verlagslektor bei Suhrkamp in Frankfurt, verbrachte einige Zeit im sozialistischen Kuba, lebte in Norwegen, Italien, Mexiko, den USA und West-Berlin und kam schließlich 1979 nach München.

Und Enzensberger schrieb und schrieb, Romane, Essays, Anekdoten und Erinnerungen und Dramen, etwa "Untergang der Titanic", 1980 von George Tabori inszeniert. Kindern wollte er mit "Der Zahlenteufel" die Mathematik näher bringen. Und den Jugendlichen widmete er Bücher wie "Immer das Geld: Ein kleiner Wirtschaftsroman" oder "Lyrik nervt". Und natürlich seine Gedichte und Balladen. Schon mit seinem ersten Lyrikband "Verteidigung der Wölfe" von 1957 erregte er Aufsehen. Nicht alles erschien unter seinem Namen. Als Andreas Thalmayr veröffentlichte er ebenso Werke wie etwa unter dem augenzwinkernden Pseudonym Serenus M. Brezengang, das aus den Buchstaben seines echten Namens besteht.

Dass Enzensberger auch mit 90 Jahren nicht müde wird, sich über "Gott und die Welt" Gedanken zu machen, zeigt sein Buch "Fallobst" mit Zeichnungen des 2011 gestorbenen Illustrators Bernd Bexte mit manchen guten und treffenden Beobachtungen, aber auch Läppischem. Und gleichzeitig notiert er unter der Überschrift "Die Kunst des Schwurbelns": "Im Kunstbetrieb, im Journalismus und in der Kulturpolitik gehört das Schwafeln zu den gefragtesten Talenten."

In seinem neuen Buch finden sich, wie so oft, Gedanken auf der Höhe der Zeit, etwa zum Thema Migration. Ohne sie würde jede menschliche Gesellschaft veröden, trotz aller Konflikte und Schwierigkeiten, heißt es darin. "Unsere Literatur und unsere Sprache wären ohne ihre Aus- und Einwanderer ein trostloses Heimspiel geblieben". Die USA nennt er ein Land mit einer "unheimlichen Mischung von Gier und Geschmacklosigkeit, puritanischer Fassade und krassen Klassenunterschieden" und einem Präsidenten mit dem "treffenden Namen Donald". Und er warnt vor "unheilvollen Verbindungen von Geheim- und Nachrichtendiensten und Internet-Konzernen": "Die Rolle des Blockwarts und des Denunzianten haben Millionen Überwachungskameras und Mobiltelefone übernommen."

Auch über den Lebensabend macht sich Enzensberger in seinem neuen Werk Gedanken. "Jetzt gleiche ich einem Autoreifen, aus dem langsam die Luft entweicht", notiert er lakonisch und spricht gleichzeitig von der "Kunst, sich langsam und möglichst unauffällig vom Leben zu verabschieden". Sogar an runden Geburtstagen will er sich lieber nicht in der Öffentlichkeit hervortun - das stellte er schon vor gut 20 Jahren fest, nach seinem 70. Geburtstag. "Lorbeerbäumchen, Talkshows, Interviews geben - das alles mag ich nicht", sagte er damals dem "Süddeutsche Zeitung Magazin". "Diese naive Eitelkeit, die man braucht, um sich auf einer Bühne wohl zu fühlen, ist mir nicht gegeben." Viel lieber sei es ihm, wenn die Leute seine Bücher öffneten. Und das taten sie bislang immer, auch im Ausland. In mehr als 40 Sprachen wurden seine Werke übersetzt. Warum er so erfolgreich war? Dazu nimmt der Münchner in "Fallobst" Stellung: Er habe einfach mehr Glück gehabt.

- Hans Magnus Enzensberger: Fallobst - Nur ein Notizbuch. Mit Zeichnungen von Bernd Bexte, Suhrkamp Verlag, Berlin, 366 Seiten, 30 Euro, ISBN 978-3-518-42890-0.

Fallobst

SZ-Interview mit Enzensberger