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Doppelhäuser Ein Schritt zwischen zwei Adressen

Gerhard Brabant braucht nur einen Schritt zu machen, um innerhalb ihrer Häuser von der Schloßstraße zum Lindenplatz zu gelangen.

Von Thomas Linßner 29.02.2016, 16:56

Barby l „Sehen Sie“, macht Gerhard Brabant einen Schritt, „jetzt gehe ich von der Schloßstraße zum Lindenplatz.“ Dabei braucht sich der Bäckermeister nicht groß anzustrengen, als er eine unscheinbare Zwischentür öffnet und hindurch geht. Das Besondere an dieser Aktion macht die Eigentumssituation beider Häuser aus: Lindenplatz gehört seiner Familie seit Mitte des 19. Jahrhunderts, die benachbarte Schloßstraße seit den 1930er Jahren.

Urahn Friedrich - er war Müller und Bäcker - erwarb das Haus 1870 sein Nachkomme, Bäckermeister Otto Brabant, kaufte 1930 das Nachbargrundstück hinzu.

Heute leben drei Personen in Lindenplatz und Schloßstraße, in den 1950er Jahren waren es 30. Ein Großteil waren Heimatvertriebene.

Briefkasten und „offizieller Eingang“ ist heute im Lindenplatz. Dort wird auch die Post eingeworfen. Orientierungsschwierigkeiten der Postler und Paketzusteller habe es „nie gegeben“.

Doch um das Haus Schloßstraße 34 rankt sich noch eine andere besondere Geschichte:

Die Nachkommen von Seminarlehrer Friedrich Wilhelm Schulze waren bis zum Verkauf an Brabant Besitzer dieses Hauses. Vor dem Ersten Weltkrieg ließ Schulze die Fassade erneuern. Bei dieser Gelegenheit bat er den Architekten, den Hauseingang originalgetreu dem des Nordflügels des Schlosses nachzubauen. Schulze soll das mit den Worten begründet haben: „Ich wollte ein Stück vom Schloss an meinem Hause haben.“ So innig war seine Bindung zu seiner beruflichen Wirkungsstätte.

Friedrich Wilhelm Schulze war von 1869 bis 1919 am Barbyer Lehrerseminar tätig. Er wurde 1914 pensioniert. Nach Kriegsausbruch trat die Regierung an ihn heran und bat ihn, wieder Stunden zu übernehmen, da viele Lehrer zum Militärdienst eingezogen wurden. Schulze war Naturwissenschaftler. Die Naturkundestunden hielt er im Schlosspark ab und behandelte die Pflanzen, die sich jeweils als Objekte anboten. Er war ein Pflanzenkenner par excellence, hatte er doch ein Sammelwerk herausgegeben: Moose und Flechten in Barby und Umgebung.

Da er eingesprungen war, musste er auch Unterricht außerhalb seines Fachbereichs übernehmen. Außer Naturkunde unterrichtete er Geschichte, Erdkunde und Religion.

Die Schüler imponierte sein umfangreiches Wissen und die interessante und lebendige Art, wie er den Stoff darbot. Walter Rust, einer seiner letzten Schüler erinnerte sich 1990: „Nach einiger Zeit fragte er uns, ob uns seine Art des Unterrichts gefiele. Ich als Klassensprecher sagte etwa: ‚Wir freuen uns auf ihre Unterrichtsstunden, nur dürfen Sie die Fülle des Gesagten nicht abfragen, da fühlen wir uns überfordert.‘ Er darauf: ‚Jungs, ihr müsst eure Gedächtniskraft schulen. Ich lerne seit 1869 jede Woche ein Goethe-Gedicht, habe ich genug Zeit, dann ein längeres, wenn nicht nur einen Spruch.“

Walter Rust erlebte noch die Feier von Wilhelm Schulzes 70. Geburtstages mit Behörden-Vertretern. Geschenkt wurden damals Körbe mit Essbarem, es war ja Krieg. 1919 starb er.

Der allseitig verehrte Lehrer hatte Jahrzehnte das Ehrenamt Hauptmann der Seminar-Feuerwehr inne. Bedeutender war es, dass Friedrich Wilhelm Schulze 28 Jahre Stadtverordneten-Vorsteher war. Ein Mann jedenfalls, der sich für Barby verdient gemacht hat.