1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Burg
  6. >
  7. Genthin über Hildesheim nach Panama

Flüchtlinge Genthin über Hildesheim nach Panama

Rund um Enthüllungen um Geschäfte mit Briefkastenfirmen aus der Steueroase Panama geht es auch um eine Genthiner Immobilie.

Von Falk Heidel 07.04.2016, 06:00

Genthin/Magdeburg l Von welchen offenbar nebulösen Geschäftspartnern hat Sachsen-Anhalts Finanzminister Jens Bullerjahn (SPD) einen leerstehenden Einkaufspark an der Genthiner Friedenstraße gepachtet? Diese Frage stellt sich nach den Enthüllungen der sogenannten Panama-Papers.

Offensichtlich führt die Spur nach den Eigentümern der Genthiner Immobilie zu einer Briefkastenfirma nach Panama. Vertraglich geregelt ist eine Pacht auf drei Jahre für insgesamt 880 000 Euro. Derzeit laufen die Umbauarbeiten. Die Immobilie soll dem Land als Ersatz dienen, falls die anderen Erstaufnahmestellen für Flüchtlinge überlastet sind.

Bereits Ende Februar wurden in Genthin erste Stimmen laut, wonach der Eigentümer des ehemaligen Marktes seinen Sitz in Panama habe. Bau-Unternehmer Lutz Buchheister holte über eine Wirtschaftsauskunft namens „Creditreform“ Auskünfte über die Bonität des Immobilien-Besitzers ein, nachdem seinem Unternehmen ein Auftrag zur Verlegung der Wasserleitung in Aussicht gestellt wurde.

Über einen Bauleiter in Hildesheim und eine Auslandsauskunft der „Creditreform“ mündeten Buchheisters Recherchen schließlich in Panama bei der Firma Bendix Capital. Der Genthiner Geschäftsmann wollte, dass die Firma aus Panama in Vorkasse geht für die Bauleistungen - ohne Erfolg. „Unter diesen Umständen habe ich auf den Auftrag verzichtet“, sagt Buchheister.

Jedoch stellte sich später heraus, dass die Zahlungen an die beauftragten Firmen pünktlich geflossen sind.

Als Anwohner hatte Buchheister einen Einspruch gegen den geplanten Umbau zur Flüchtlingsunterkunft an Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU), an das Landesverwaltungsamt und an den Landkreis geschickt. „Ich habe eine ganze Reihe von Argumenten zusammengetragen, die aus baurechtlicher Sicht gegen einen Umbau sprechen.“

Buchheister zufolge verwies Haseloff in seinem Antwortschreiben darauf, dass die Bauaufsichtsbehörde des Landkreises für die Genehmigung zuständig sei.

Landrat Steffen Burchhardt (SPD) sagte zur Volksstimme: „Der Landkreis wurde bei der Entscheidung nicht beteiligt und obendrein erst offiziell informiert als dies bereits über die Presse öffentlich wurde. Ich hätte eine frühzeitige Beteiligung und einen offenen Austausch über Vor- und Nachteile dieses Standortes erwartet.“ Im September des vergangenen Jahres geriet der alte Rewe-Markt als Flüchtlingsunterkunft in die Schlagzeilen. Burchhardt: „Wir haben als Landkreis zusammen mit der Stadt Genthin umgehend unsere Bedenken zum Standort dargelegt. Wir halten es nach wie vor für keine tragbare Lösung.“ Er vermutet, dass „auf absehbare Zeit dieses Objekt nicht belegt werden wird.“

Ganz unbeteiligt war der Landkreis aber nicht. Tatsächlich musste das Bauordnungsamt den Umbau prüfen. Dazu sagte Landrat Burchhardt auf Volksstimme-Nachfrage: „Einige Wochen nach Vertragsunterzeichnung haben wir einen Antrag auf Umnutzung erhalten. Hier erfolgte keine politische, sondern eine rein fachliche Bewertung.“ Der Landrat erklärt, dass „unser Bauordnungsamt diesen Antrag sehr penibel geprüft hat und nach Erfüllung aller Auflagen kein Grund existiert, eine Baugenehmigung zu verwehren. Das schließt auch Statik und Brandschutz ein.“

Bau-Unternehmer Lutz Buchheister, der sich mit seinem Einspruch im Namen der Anlieger durch die Verwaltungsinstanzen hangelt, erhielt am Mittwoch Post aus dem Landesverwaltungsamt: Das Genehmigungsverfahren sei noch nicht abgeschlossen. Dies bestätigte gestern auch Landkreissprecherin Claudia Hopf-Koßmann: „Eine Genehmigung ist noch nicht erteilt.“

Vertragspartner des Finanzministeriums ist ein Geschäftsmann namens Claus Florin. Laut Recherchen der Mitteldeutschen Zeitung gründete Florin 2015 in Schottland eine Briefkastenfirma. Kurze Zeit später verkauft diese Firma acht ehemalige Gewerbeimmobilien, meist aufgegebene Baumärkte oder eben leerstehende Supermärkte wie in Genthin an eine weitere Briefkastenfirma namens Petromax als Flüchtlingswohnheime mit Kapazitäten zwischen 300 und 1200 Personen. Unter derselben Postanschrift in Panama residiert auch das Unternehmen Bendix Capital – an diese Firma überweist das Finanzministerium für die kommenden drei Jahre die schon genannten 880 000 Euro Miete.

In den vergangenen Jahren firmierte Florin mit verschiedenen Unternehmen unter einer Hildesheimer Adresse, dieselbe nutzt auch Bendix Capital.

Ministeriums-Sprecher Wolfgang Borchert erklärt gegenüber Volksstimme: „Unser Vertragspartner hat seinen Sitz in Hildesheim. Die Miete geht auf ein Konto der Volksbank.“ Beim Vermieter gebe es keine Hinweise auf einen unseriösen Hintergrund. Der Vertrag ist Borchert zufolge am 3. September 2015 für eine Dauer von drei Jahren geschlossen worden.

Borchert sagt zudem: Der Vertrag mit Bendix sei auf Betreiben des Innenministeriums von Holger Stahlknecht (CDU) geschlossen worden: „In solchen Fällen sind wir als Finanzministerium nur Dienstleister.“ Borchert verweist auf die große Not, die seinerzeit geherrscht habe: „Jede Woche kamen über 1000 Flüchtlinge nach Sachsen-Anhalt.“

Laut Wirtschaftsauskunft „Creditreform“ ist die Firma Bendix Capital nicht im Hildesheimer Handelsregister eingetragen. Vielmehr habe das Unternehmen seinen Sitz in Panama City.

Noch eine Frage: Warum musste es ein Gebäude im Privatbesitz sein? Borchert dazu: „Wir haben 570 landeseigene Immobilien geprüft. Die Standards für die Unterbringung von Menschen sind sehr hoch.“ Im Übrigen seien die Bauarbeiten in Kürze abgeschlossen, dies habe Claus Florin vor einigen Tagen bestätigt.

Zu den Kritikern der Kaufhaus-Nutzung als Flüchtlingsunterkunft gehört Genthins Bürgermeister Thomas Barz. Er sagte zur Volksstimme: „Wir wurden als Stadt zu keinem Zeitpunkt einbezogen.“ Barz ist der Ansicht, dass die geplante Unterkunft Probleme mit sich bringe: „500 Menschen in einem derart großen Raum ohne Privatsphäre, Ruhe oder Rückzugsmöglichkeiten. Mit dem Wohnungsleerstand wären andere Alternativen möglich.“

Barz sagt auch: „Wir haben in Genthin mit der dezentralen Unterbringung in Wohnungen bisher sehr gute Erfahrungen gemacht.“ Mit der Unterbringung von 500 Menschen in dieser Unterkunft neben den bereits in Genthin untergebrachten Asylbewerbern, hält er die Infrastruktur der Stadt für überfordert.

Entstanden ist der Supermarkt-Komplex mit 330 Parkplätzen Anfang der 90er Jahre an der damaligen Bundesstraße 107 auf der grünen Wiese. Das Gebäude beherbergte einen Extra-Markt und einen Aldi, daneben gibt es noch heute eine Tankstelle. Beide Unternehmen florierten jahrelang. Probleme gab es erst, als Ende der 90er Jahre weitere Märkte im Stadtgebiet entstanden. Zeitweise waren es neun Lebensmittelhändler. „Extra“ zog sich aus Genthin zurück. Rewe übernahm die Einrichtung mit 17 000 Quadratmetern Verkaufsfläche.

Im Oktober 2012 schloss Rewe die Einkaufstüren für immer. Zuvor ist Aldi in den Nordteil der Stadt gewechselt.

In den Schlagzeilen sind derzeit die sogenannten Panama-Papers, deutsch Panama-Papiere. In der Steueroase Panama wurden mehr als 200 000 Briefkastenfirmen gegründet.

Hunderte Politiker, Prominente und Sportgrößen betreiben demnach in Steueroasen hochdotierte Geheimgeschäfte. Journalisten liegen Daten und Unterlagen einer panamaischen Kanzlei vor, die das belegen sollen.

Die Unterlagen zeigen, wie sie in Geschäfts-Konstruktionen verstrickt sind. Laut diesen Dokumenten gibt es rund 214 000 Gesellschaften, vor allem in Panama und auf den Britischen Jungferninseln. Die Panama Papers sollen belegen, wie Netzwerke aus Banken, Anwaltskanzleien und Vermittler zweifelhafte Vermögen in Steueroasen verstecken.