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Ausstellung Wo Guides passende Worte finden

Eine Neuntklässlerin führt durch die Ausstellung ‚Justiz im Nationalsozialismus‘ im Burger Amtsgericht.

Von Franziska Ellrich 11.06.2016, 11:00

Burg l Der Burger Walter G. wurde zur Zeit des Nationalsozialismus mit dem Tod bestraft. Wegen Fahrraddiebstahl. Lisa, die hier aus persönlichen Gründen ihren richtigen Namen nicht lesen möchte, zeigt auf das Todesurteil. Es ist gleich auf einer der ersten Tafeln für die Wanderausstellung ‚Justiz im Nationalsozialismus‘ abgedruckt. Die Neuntklässlerin hebt ihre Stimme an. „Ist das nicht krass?“, fragt sie in die Runde. Heute gibt es für solche Straftaten „höchstens mal ein Dudu mit dem erhobenen Zeigefinger.“

Auf dem Flur im Burger Amtsgericht wird es ruhig. Die Klassenkameraden von Lisa hören konzentriert zu, machen sich Notizen. „Das ist so ein Fall, da muss man erstmal schlucken“, findet die Schülerin der Burger Diesterweg-Sekundarschule die passenden Worte. Wie es dazu kommen konnte, erklärt Lisa anschaulich mit Hilfe von vorbereiteten Grafiken auf Folien. Welche Gerichte gab es zur Zeit des Nationalsozialismus? Was war anders als heute? Es habe damals Sondergerichte gegeben, „damit die Entscheidungen schneller getroffen werden können“, erklärt die Neuntklässlerin.

Souverän spricht sie von Angeklagten, die sich nicht durch einen Anwalt verteidigen lassen durften, die keine Chance auf Widerspruch oder die Anhörung von Zeugen hatten. „Fast immer hieß das Urteil am Ende Konzentrationslager oder Tod“, macht Lisa gegenüber ihren Mitschülern deutlich. Die stellen interessiert Fragen. Und Lisa kann antworten. „Wieso durfte es keinen Anwalt geben?“, taucht eine Nachfrage auf. „Weil alles im Sinne von Adolf Hitler entschieden werden sollte.“

Lisas Aufregung vom Anfang ist völlig verschwunden. „Ich stehe nicht nur unter Zeitdruck, sondern allgemein unter Druck“, hieß es zu Beginn der Führung nämlich noch. Davon ist nur fünf Minuten später nichts mehr zu spüren. Lisa ist eine von mehr als einem Dutzend Schülerguides, die für die aktuelle Ausstellung im Burger Amtsgericht ausgebildet wurden. Gemeinsam mit Daniel Bohse und Michael Viebig, die zum Team gehören, das die Ausstellung erarbeitet hat, haben die Schüler aus dem Jerichower Land ihre Führungen vorbereitet. „Wenn Schüler so eine Ausstellung ihren Mitschülern erklären, sprechen sie dieselbe Sprache“, sagt Daniel Bohse.

Lisa hat sich für ihre Führung sorgfältig Stichpunkte auf Karteikarten gemacht. Doch während des Rundgangs wird schnell klar: Die Schülerin braucht ihre Notizen nicht. Die Fakten sitzen. „Man durfte auch keinen engen Kontakt mit Kriegsgefangenen haben“, wählt Lisa ein weiteres typisches Beispiel für die NS-Justiz aus. Es habe in Burg eine junge Frau gegeben, die sich mit einem Gefangenen angenähert und „Zettelchen geschrieben“ hat. Ihr Urteil lautete: Konzentrationslager. Sein Urteil: Todesstrafe.

Die Zuhörer schreiben fleißig mit, haken nach. Denn Lisa hat Fragen für ihre Mitschüler vorbereitet, die die Geschichtslehrerin im Nachgang beantwortet wissen will. „Es wurde alles super erklärt“, ist Josephine Raede sehr zufrieden mit der Führung. Neuntklässlerin Marie Juska findet gut, dass ihre Klassenkameradin das Thema so „kurz und knapp“ in Worte fassen konnte. „Die einzelnen Fälle waren sehr bewegend“, sagt Gina Nix. Lisa, die später einmal Lehrerin werden will, hat selbst auch ein positives Gefühl. „So habe ich es mir vorgestellt.“