Bildung Auf der Flucht

Rami Dahbour ist aus Damaskus in Syrien nach Deutschland geflüchtet. Über seine Erfahrungen berichtete er in Gommern.

Von Manuela Langner 15.11.2018, 07:00

Gommern l Auf Partys gehen, Fußball spielen, ein normales Leben führen. Bis 2011 war für Rami Dahbour in Syrien die Welt in Ordnung. Dann begann der Krieg. „Bomben und Raketen ohne Ende.“ 500 000 Menschenleben hat der Krieg bislang gefordert. Fast die Hälfte der Bevölkerung ist auf der Flucht. In den einst modernen Städten Ruinen statt Lichterglanz. „Das ist jetzt mein Heimatland.“

Für die Zehntklässler der Ganztagssekundarschule „Fritz Heicke“ war Rami Dahbour der erste Flüchtling, den sie persönlich kennenlernten. Er spricht sehr gut Deutsch und arbeitet für den AWO-Landesverband.

In der vorigen Woche war das Klassenzimmertheater „Stell dir vor, es wäre Krieg“ an der Sekundarschule zu Gast gewesen. In dem Stück herrscht in Deutschland Krieg und sieht es so aus, wie es der 28-Jährige auf Bildern aus Syrien zeigte: Schutt statt Häuser, keine Wasserversorgung, Strom nur noch stundenweise. In dieser Woche wurde für beide 10. Klassen das Thema Krieg/Flucht mit der Gesprächsrunde mit dem Syrier abgerundet. Rami Dahbour hatte BWL und Marketing studiert, als der Krieg ausbrach. Damit er nicht eingezogen wurde, schickte ihn sein Vater weg. Um die Flucht zu finanzieren, verkaufte seine Mutter ihren Schmuck. „Am 10. September 2015 habe ich meine Familie zum letzten Mal gesehen.“ Neben seinen Eltern sind auch noch Geschwister in Syrien. Gemeinsam mit seiner Schwester und seinen Schwager machte er sich auf den beschwerlichen Weg nach Europa.

„Es ist sehr schwierig, ein Visa für arabische Länder zu bekommen.“ Sonst wären sie dorthin geflüchtet. Von der Sprache und den Ernährungsgewohnheiten wäre das viel einfacher gewesen, erklärte Rami Dahbour den Schülern.

Auf der Flucht ernährte er sich von Snickers, weil sie billig sind und satt machen. Sie schliefen immer unter freiem Himmel. Für die Überfahrt nach Griechenland steckten die Schleuser 65 Menschen auf ein Boot, das für 18 Passagiere ausgelegt war. Er wollte nicht einsteigen, hatte aber keine andere Wahl. Auf dem Meer brach das Boot entzwei. „Ich habe gedacht, mein Leben ist zu Ende.“ Nach einer Stunde wurden sie von der türkischen Marine gerettet. Sein Rucksack war weg, er hatte nur noch die Sachen, die er trug.

Der zweite Versuch, Griechenland zu erreichen, klappte. In Mazedonien war ständig die Angst vor der Polizei präsent. „Mein Vater war 1978 in Deutschland gewesen, in Ostdeutschland.“ Mit dem Wissen, dass die Leute dort nett sind, wurde Halberstadt sein Ziel. Eine Liege im Erstaufnahmelager „war mein erstes Bett in Deutschland“. Endlich duschen, endlich keine Angst mehr. Angst vor der ungewissen Zukunft war auf der Flucht ständiger Begleiter gewesen.

Im Februar 2016 bekam Rami Dahbour seine Aufenthaltsgenehmigung. Er belegte einen Integrationskurs und lernte Deutsch. „Ich habe immer Kontakt zu den Deutschen gesucht. Ohne den Kontakt kannst du die Kultur nicht kennenlernen und auch nicht richtig die Sprache lernen.“

Wie sieht jetzt das Leben in Syrien aus, erkundigten sich die Zehntklässler. Jetzt fielen nicht mehr so viele Bomben, aber es gebe keine Regeln mehr. Aus seinen Beispielen konnten die Schüler ablesen, wie es ist, wenn das Recht des Stärkeren herrscht. „Ich habe jeden Tag Angst um meine Familie.“ Sie telefonierten täglich.

Habt ihr Erfahrungen mit Flüchtlingen, fragte Rami Dahbour die Schüler zurück. So ganz wollten sie mit der Sprache nicht raus, kannten sie doch nur Medienberichte. Eine Schülerin berichtete, in Magdeburg auf Arabisch beschimpft worden zu sein. „Die negative Seite gibt es“, sagte Rami Dahbour. Die, die Ärger machen und die Sprache nicht lernen wollen. Gerade Deutsch zu lernen, ist etwas, das er anderen Flüchtlingen immer ans Herz legt. So wie er sind die Freunde, mit denen er nach Deutschland gekommen ist, alle ihren Weg gegangen. Sie haben Arbeit und sind integriert.

Wolle er eines Tages nach Syrien zurück, fragte ein anderer Schüler. „Auf jeden Fall!“, sagte er überzeugt. Sobald der Krieg zu Ende sei, gehe er zurück. „Wir bauen Syrien wieder auf. Das ist mein Traum.“ Er vermisse seine Familie und sein Heimatland, aber auch in Deutschland fühle er sich mittlerweile sehr wohl.

Welche Ziele habe er in Deutschland? Die Frage war für Rami Dahbour nicht leicht zu beantworten. Eine eigene Familie wollte er hier beispielsweise nicht. Denn: Was, wenn seine Frau nach Kriegsende in Deutschland bleiben wollte, er aber nicht?

Bevor Rami Dahbour den Zehntklässlern ihre Fragen beantwortete, sprach Fabian Borghardt (AWO) noch einmal das Klassenzimmertheater der Vorwoche an, als Schüler in der Diskussion erklärt hatten, sie würden Deutschland auch als Diktatur verteidigen. „Ist doch mein Land!“, bekräftigte ein Schüler.