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Bildung Immer mehr ohne Schulabschluss

14 Prozent Schulabgänger ohne Abschluss verzeichnet eine Caritas-Studie für Burg und Genthin 2017. Die Zahlen sind alarmierend.

Von Thomas Pusch 09.08.2019, 01:01

Burg l Seit 2012 betrachtet die Caritas die Zahlen der Schulabgänger ohne Abschluss. Im vergangenen Monat aktualisiert, sprechen sie für das Jahr 2017 eine deutliche Sprache. Deutschlandweit lag die Quote der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss bei 6,9 Prozent. Sie war damit einen Prozentpunkt höher als 2015 und lag auf demselben Niveau wie vor zehn Jahren. Bundesweit sind über 52 000 Jugendliche betroffen.

Für das Jerichower Land sieht es mit einer Quote von rund 14 Prozent sogar noch schlechter aus. Zwei Jahre zuvor lag die Quote noch bei 10,9 Prozent. Bei den Nachbarn im Landkreis Potsdam-Mittelmark liegt der Anteil der Schulabgänger ohne Abschluss bei nicht einmal sechs, im Landkreis Börde bei 7,5 Prozent. Im Salzlandkreis und im Landkreis Anhalt-Bitterfeld liegen die Werte mit 11,1 und 11,6 Prozent zwar schlechter, aber auch noch unter den Werten von JL.

Landrat Steffen Burchhardt (SPD) betonte auf Anfrage der Volksstimme, dass der Schulinhalt ausschließlich in Zuständigkeit des Landes falle, eine Bewertung der Zahlen für die Kreisverwaltung deshalb nicht möglich sei. „Selbstverständlich muss es unser gesellschaftliches Ziel sein, dass möglichst jeder Jugendliche einen Schulabschluss erwirbt und dann seinen Beitrag zur Gesellschaft beiträgt“, bezog er aber dennoch Stellung. Eine Diskussion möglicher Ursachen wäre allerdings reine Spekulation. Auswirkungen gestiegener Schulabbrüche seien nicht zu erkennen, die Jugendarbeitslosigkeit sei relativ niedrig und im Vergleich unauffällig.

Tatsächlich sind in den meisten Kreisen und kreisfreien Städten die Quoten angestiegen, allerdings auf unterschiedlichem Niveau. „Faire Bildungschancen sind die Grundlage fairer Teilhabechancen im Lebenslauf“, betont Eva M. Welskop-Deffaa, Vorstand Sozial- und Fachpolitik des Deutschen Caritasverbandes, in einer Pressemitteilung. Die weiter hohe Zahl junger Menschen, die ohne Abschluss ihre Schullaufbahn beenden, mache große Sorgen. Viele von ihnen würden dem Verband in den nächsten Jahren wieder begegnen – beispielsweise in der Allgemeinen Sozialberatung, in der Schwangerenberatung, oder aber in der Schuldnerberatung.

Eine Erklärung, warum die Quote im Jerichower Land offensichtlich im Vergleich der Landkreise am höchsten ist und den Deutschlandwert um das Doppelte übertrifft, kann auch der Kreisvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Ingo Doßmann, nicht liefern. „Es ist aber festzustellen, ob es im Durchschnitt Sachsen-Anhalts nun 10,34 oder aber im Jerichower Land 13,94 Prozent sind, dass beide Zahlen eine unbefriedigende Situation darstellen“, antwortete er auf Volksstimme-Anfrage. Die Gesellschaft könne es sich schlichtweg nicht leisten diese Jugendlichen links liegen zu lassen. Das habe wirtschaftliche Aspekte aber auch jeder Einzelne muss einfach die Möglichkeit des Zugangs zum Arbeitsmarkt haben.

Erklärungsansätze nur im schulischen Bereich zu suchen würde zu kurz greifen. „Es müssen Gelingensbedingungen für eine erfolgreiche Schullaufbahn geschaffen werden, die den gesamten Bildungsprozess vom Kindergarten bis zur weiterführenden Schule flankieren“, forderte er und zählte unter anderem die Anerkennung der pädagogischen Arbeit der Erzieherinnen im Kindergarten durch Vorbereitungsstunden, den Einsatz von Schulsozialarbeiterinnen beginnend mit der Grundschule in allen Schulen des Landes und die Absicherung der Unterrichtsversorgung mit 105 Prozent auf.

Im Verlauf von zehn Schuljahren verliere ein Schüler bei einem Unterrichtsausfall von fünf Prozent, den es gegenwärtig an vielen Schulen des Landes gebe, ein halbes Schuljahr an Bildung. „Wer sich so um seine Jugend kümmert, bekommt irgendwann dafür die Quittung“, fasste Doßmann zusammen.

Auch aus Sicht des Caritasverbandes seien fehlende Schul- und Berufsabschlüsse oft der Anfang sich potenzierender Nachteile. Für den Deutschen Caritasverband gelte, so Welskop-Deffaa: „Der Befähigung durch formelle und informelle Bildungsangebote und der guten schulischen Ausbildung von jungen Menschen kommt gerade in Zeiten der digitalen Transformation eine besonders große Bedeutung zu.“

Karsten Bieler, Teamleiter der Berufsberatung der Agentur für Arbeit Magdeburg, stimmt zu, dass Schulabgänger ohne Schulabschluss nur geringere Chancen auf dem Ausbildungsmarkt haben, nur wenige Ausbildungsbetriebe gäben diesen Jugendlichen eine Chance eine Ausbildung aufzunehmen. Für bestimmte Ausbildungen sei zudem ein bestimmter Schulabschluss Voraussetzung, um diese überhaupt zu beginnen. Die späteren Chancen auf dem Arbeitsmarkt seien ohne Berufsausbildung zumeist auf den Helferbereich beschränkt.

Angebote, den Hauptschulabschluss nachzuholen, bestünden aber durchaus. Dazu gehört das Berufsvorbereitungsjahr (BVJ) an der jeweiligen Berufsschule. Für Jugendliche, die nicht mehr schulpflichtig sind, ist der Erwerb des Hauptschulabschlusses auch im Rahmen einer durch die Agentur für Arbeit geförderte berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme möglich. Auch das Angebot der Abendsekundarschule kann genutzt werden. Weiterhin können auch mit der Einstiegsqualifizierung oder einer zusätzlichen Lernunterstützung Arbeitgeber gefördert werden, die auch jungen Menschen mit Lern- oder Bildungsdefiziten eine Chance geben.

Für Kreishandwerksmeister Konrad Zahn liegt das Problem teilweise im System Schule begründet. „Diese Kleinstaaterei ohne einen gemeinsamen Lehrplan ist mir unverständlich“, sagte er im Gespräch mit der Volksstimme. Der Weg zur Gesellenprüfung sei in ganz Deutschland einheitlich, bis hin zur Prüfung, das müsse doch auch im staatlichen Schulwesen gehen. Allerdings treibt ihn eine andere Sorge viel mehr um als die, ob jemand qualifiziert genug für eine Lehre sei. „Die Frage ist doch, ob heutzutage junge Menschen überhaupt eine Lehre im Handwerk beginnen wollen“, meinte er. Zu oft sei die Antwort nein. Um das zu ändern, müsse ein Umdenken in der Gesellschaft stattfinden, die Wertschätzung den Berufen aus der Dienstleistungsbranche wieder entgegengebracht werden.