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Blindheit Erinnerungen bringen Erleuchtung

Weihnachtsbeleuchtung hat für Peter Tränkler keine Bedeutung. Er ist blind. Weihnachten aber ist für ihn ein besonderes Fest.

Von Thomas Pusch 19.12.2020, 00:01

Burg l Ein kleiner Plastikweihnachtsbaum mit bunten Lämpchen steht in der Schrankwand von Peter Tränklers gemütlicher Wohnung in der Burger Innenstadt. Doch die Dekoration ist wohl eher für Besucher gedacht. Der 76-Jährige ist aber kein Weihnachtsmuffel, ganz im Gegenteil. Doch er ist blind, kann zwar hell und dunkel voneinander unterscheiden, aber keine Farben. Mit Weihnachten verbindet er andere Reize, und vieles hat mit Erinnerungen zu tun.

Die Vorweihnachtszeit beginnt für ihn schon im September. „Dann packe ich Geschenktüten für meine Kinder und Kindeskinder, zu denen auch ein Kuvert gehört, dann kommt die Ausgabe nicht auf einmal“, erzählt er im Gespräch mit der Volksstimme. Gerade die Freude der Kinder zu Weihnachten treibt hat ihm Tränen der Rührung in die Augen. Und fast kommen beim Gespräch Tränen der Traurigkeit, dass ein großes Familientreffen in diesem Jahr nicht möglich sein wird.

Zusammenkommen wird man jedoch, es wird kein einsames Weihnachten für Peter Tränkler, der nicht von Geburt an blind ist. So hat er auch bildliche Erinnerungen an Weihnachten, als er selbst noch ein Kind war. Der Duft von Zimtplätzchen, die seine Mutter immer gebacken hat, der gehört für ihn zur Weihnachtszeit. Und Schnee. „Ich erinnere mich, dass damals von November bis März Winter war, es gab immer weiße Weihnachten, das fehlt jetzt“, sagt er. Den Schnee könnte er mit dem Auge zwar nicht erkennen, die Welt vor seinem Fenster wäre aber deutlich heller.

Die Erblindung ist langsam bei Peter Tränkler vorangeschritten, ungefähr seit 15 Jahren kann er keine Farben mehr unterscheiden. Peter Tränkler leidet an Grauem Star und einem so genannten Tunnelblick, ihm fehlt also das seitliche Gesichtsfeld. Mittlerweile ist er auf dem linken Auge ganz blind, kann mit den zwei Prozent Sehvermögen auf dem rechten nur noch Schatten wahrnehmen. Seine Art der Sehbehinderung wird hellblind genannt, er sieht nur weiß. Um den Blendeffekt zu mindern, trägt er draußen eine Schirmmütze und immer eine getönte Brille.

Er wollte das vorweihnachtliche Treiben aber dennoch mit den Vorstellungen von allen Sinnen genießen. „Ich bin dann mit einer Begleitung in die Stadt gegangen, und die sollte mir erklären, welche Farben zu sehen sind“, beschreibt er. Vorstellen konnte er sich die Farben ja. Nach einem Schlaganfall im vergangenen Jahr fallen diese Spaziergänge aus, ebenso wie der Ausflug zum großen Weihnachtsmarkt nach Magdeburg.

„Der Duft von Glühwein ist auch etwas, das ich mit der Adventszeit verbinde“, schwärmt er. Auch die Lichternacht in der Landeshauptstadt hatte er um sich herum wahrgenommen und viel Gefallen daran gefunden. „Manchmal trauere ich dem nach“, räumt er ein und denkt dabei auch daran, was in diesem Jahr außer Farbwahrnehmungen noch fehlen wird: Umarmungen. Das vernichte die ganze Freude.

Allein mag er sich nicht unbedingt der Weihnachts- atmosphäre hingeben, um nicht schwermütig zu werden. Wenn im Fernsehen aber eine Weihnachtssendung läuft, schaltet er aber auch nicht weg. Dort wie im Radio fällt ihm auf, dass kaum noch von Weihnachten, fast nur von Christmas gesungen wird. „Neun von zehn Weihnachtsliedern im Rundfunk sind auf Englisch“, hat er festgestellt. Das war zu seiner Kinderzeit anders. „Wir haben in der Familie immer die klassischen Lieder gesungen, meine Mutter konnte das sehr gut“, sagt er. O Tannenbaum statt White Christmas, Kling Glöckchen klingelingeling statt Last Christmas.

Außer dem kleinen beleuchteten Dekoteil wird er in diesem Jahr keinen Weihnachtsbaum in der Wohnung haben. Das erinnert ihn aber an eine Episode, als er selbst schon Vater war. „Der Baum, den wir hatten, gefiel mir nicht, der war windschief“, erzählt Peter Tränkler. Da habe er sich Heiligabend auf zum Förster gemacht. Warum er sich denn so rechtzeitig um einen Baum kümmere, wollte der mit einer gehörigen Portion Ironie wissen. Er bekam aber, was er wollte: eine sehr schöne Kiefer, die er sogar selbst für seine Familie schlug. „Das war ein anderes Weihnachten als heute.“ Wer wollte ihm da schon widersprechen?