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Buch Erfahrungen reichen für drei Leben

Hans Florysiak hat ein Buch über sein Leben in der DDR geschrieben. Ein Jahrzehnt seines Lebens hat er in Burg verbracht.

Von Nicole Grandt 12.06.2020, 06:00

Burg l Zunächst fällt der Titel des Buchs ins Auge: Der Geschmack von Speck. Wie ist er auf diesen Titel gekommen? „Nun, Speck ist ein Lebensmittel, das einen besonderen Stellenwert in meinem Leben hat“, lacht der 75-Jährige. „Meine Mutter hat mir früher, als ich ein kleines Kind war, immer von dem Bauernhof meiner Familie väterlicherseits bei Essen erzählt. Dort würde es unter anderem Schweine geben, aus denen man leckeren Schinken und Speck produzieren könnte. In meiner kindlichen Fantasie war Speck dann etwas unglaublich Tolles und Leckeres, von dem ich immer träumte, aber ich hatte ihn als Kind nie probiert. Als wir dann den Bauernhof besuchten und ich zum Frühstück zum ersten Mal in meinem Lecken Speck probieren durfte, war er absolut ekelhaft. Das war schon sehr prägend, und so hat der Speck es zum Buchtitel geschafft.“

Heute lebt der Autor in Braunschweig, doch von 1979 bis 1989 lebte er in Burg, wo er auch ein Geschäft für Bürobedarf hatte. „Es ging mir und meiner Familie dadurch wirklich nicht schlecht in der DDR, dennoch hatte ich den drängenden Wunsch, aus dem Land auszureisen“, erinnert er sich. Ein Wunsch, der nicht von jedem verstanden wurde, auch in der eigenen Familie nicht. So sah es beispielsweise sein Schwiegervater sehr kritisch. „Ich habe ihm dann gesagt, dass wir in der DDR von der Regierung von morgens bis abends nur belogen und betrogen werden würden. Ich machte mir keine Illusion, dass dies im Westen viel anders sein würde, aber dort würde ich wenigstens die Möglichkeit haben, mich dagegen zu wehren.“ Auch wenn das Verständnis seitens seines Schwiegervaters zu wünschen übrig ließ, gab es in Burg doch einige andere Menschen, die mit dem Ausreisewunsch von Florysiak sympathisierten. „Es gab da diese Kirchengemeinde, die natürlich eigentlich viel größer war, aber innerhalb dieser hatten wir eine Gruppe von so zehn bis zwölf Leuten, mit denen wir uns trafen und über die Option einer Ausreise sprachen. Das musste natürlich geheim bleiben“, berichtet er.

Die Geheimhaltung war nicht besonders einfach, und so geriet Florysiak ins Visier der Staatssicherheit. „Es gab da diesen einen Tag, an dem einige Personen unserer geheimen Gruppe nach Berlin fahren wollten, um die Ausreise zu organisieren. Und ich sollte eigentlich mitfahren, aber ich war mir bewusst, dass ich beobachtet wurde, also blieb ich an dem Tag zu Hause, während die anderen fuhren. Und da gab es diesen Nachbarn, von dem ich mir sicher bin, dass er für die Stasi gearbeitet hat. Der hat mich beobachtet und immer wieder gefragt, warum ich denn nicht mitgefahren bin. Ich habe mich dann ahnungslos dargestellt und immer so getan, als wüsste ich überhaupt nicht, wovon er redet.“

Den Wunsch, die DDR zu verlassen, hatte Hans Florysiak nicht erst, als er in Burg wohnte, sondern schon als junger Mann.

So versuchte er einmal, die Grenze nach Ungarn zu überqueren und so in den Westen zu fliehen. Der Versuch scheiterte, er wurde verhaftet und wegen versuchter Republikflucht verurteilt.

Deswegen wurde es ihm auch später immer wieder verwehrt, Urlaubsreisen nach Ungarn allein oder auch mit der Familie zu unternehmen. „Ich musste wirklich darum kämpfen, dass ich das machen durfte, aber zum Glück konnte ich mich durchsetzen.“ Die versuchte Republikflucht beeinflusste auch seinen beruflichen Weg.

„Ich wollte eigentlich Journalistik studieren, aber das durfte ich nicht, weil wegen meiner Vorgeschichte vermutet wurde, dass ich nicht den Wünschen des Regimes entsprechend schreiben würde. So wurde es mir verwehrt, meinen Traumjob zu ergreifen, und ich studierte stattdessen Betriebswirtschaft. Das war auch in Ordnung, aber nicht das, was ich eigentlich machen wollte.“

Da der illegale Versuch, die DDR zu verlassen, nicht funktioniert hat, versuchte Hans Florysiak schließlich, den legalen Weg zu gehen und stellte einen Ausreiseantrag. „Ich weiß noch genau, wann das war. Das war in der Zeit, in der meine Familie und ich in Burg lebten und es war der zweite Osterfeiertag im Jahr 1986. Da gab ich meiner Frau den Ausreiseantrag, den sie unterschreiben sollte, und sie war so erleichtert, dass wir dies endlich angehen würden.“

Noch gut drei Jahre würde es dauern, bis die Familie schließlich ausreisen durfte. Schon in den Jahren davor hatte Florysiak unzählige Briefe auch an die Parteiführung geschrieben, mit der Bitte, dass die Ausreise genehmigt werden würde. „Heute weiß ich, dass die Briefe nie ihr Ziel erreicht haben.“

Nach der genehmigten Ausreise zog die Familie erst nach Hannover, dann nach Braunschweig. „Was ich erlebt habe, hätte eigentlich für drei Leben gereicht“, resümiert er.

Er werde immer wieder gefragt, wie er ein so objektives Buch über seine Erlebnisse in der DDR schreiben konnte. „Erst einmal kommt mir da mein sehr gutes Gedächtnis zugute. Und ich wollte aufschreiben, wie ich die Zeit in der DDR damals erlebt habe. Ich habe die DDR gehasst, aber ich wollte dennoch objektiv bleiben. Vielleicht ist es eher ein Buch für Menschen aus dem Westen, die wissen wollen, wie es damals war. Oder auch für diejenigen, die es falsch beurteilen. Ich ärgere mich öfters darüber, wenn Menschen, die gar nicht dabei waren, die Ereignisse und die Zeit beurteilen wollen. Denn dann tut man rund 17 Millionen Menschen mit ihren Erlebnissen und Geschichten Unrecht.“

Auch wenn er das DDR-Regime verabscheute, erinnert sich Hans Florysiak eher wohlwollend an Burg. „Mein Geschäft war bei den Menschen sehr beliebt, und ich habe mich auch mit vielen Menschen gut verstanden, sie schätzten mich.“

Dennoch war der Wunsch, die DDR zu verlassen, größer. „Ich konnte das einfach nicht ertragen, warum ich nicht beispielsweise nach Italien reisen konnte, wenn ich das wollte. Und ich wusste auch nicht, wie ich das meinen Kindern erklären soll, wenn sie den Wunsch hegen.“

Seine Geschichte hat Hans Florysiak in dem Buch „Der Geschmack von Speck“ niedergeschrieben.Das Buch ist im Rediroma-Verlag erschienen und kann im Buchhandel oder online erworben werden.