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Demenz Im Reich der Vergesslichen

Die Regisseurin Madeleine Dallmeyer hat einen Film über ein thailändisches Demenzdorf gedreht. Dieser wurde auch in Burg gezeigt.

Von Madlen Bestehorn 29.12.2018, 00:01

Burg/Magdeburg l Geri hat sich für die Weihnachtsfeier schick gemacht: er trägt einen Cowboyhut. Seine Lieblingsbetreuerin Nid passt auf, dass er sich nicht verletzt, während er unruhig im Zimmer auf und ab läuft. Geri hat Demenz – so wie weitere 13 Patienten, die in Faham, unweit der Stadt Chiang Mai im Norden Thailands, untergebracht sind.

Statt klassisch mit Weihnachtsbaum und Mann mit Rauschebart zu feiern, hat die Frau des Einrichtungsleiters beschlossen, dass es in diesem Jahr eine Mottoparty gibt: alle Patienten sollen sich als Cowboys verkleiden. Also gibt es statt Glühwein am Kamin Square Dance unter Palmen. Vor 13 Jahren hat der Schweizer Martin Woodtli die Einrichtung für Demenzerkrankte aus Europa eröffnet. Eine Alternative zu Pflegeheimen, wie man sie in Deutschland kennt. Denn die Bungalows, die Geri und seine Kollegen bewohnen, liegen mitten in einem Dorf. Jeweils drei Pfleger kümmern sich Tag und Nacht um einen Patienten, übernachten sogar neben ihrem Bett.

Regisseurin Madeleine Dallmeyer fand das Konzept derart ungewöhnlich, dass sie Kontakt zu Woodtli aufnahm. Für zwei Monate reiste sie nach Thailand, um den Dokumentarfilm „Das Dorf der Vergesslichen“ zu drehen. Im Burg Theater, wo der Film unter anderem gezeigt wurde, diskutierte sie mit dem Publikum über Vor- und Nachteile dieses Pflegekonzeptes.

„Ich wollte etwas machen, das ich zwar kritisiere, aber sonst vertreten kann“, erklärt Madeleine Dallmeyer ihre Motivation. Bei manchen Szenen, etwa dann, wenn Geri sein Cowboyhut immer wieder ins Gesicht rutscht, sei es für sie schwer gewesen, nicht einzugreifen. Denn während des Drehs seien Freundschaften zu mehreren der Protagonisten entstanden – auch zu Geri, der sich in einem fortgeschrittenen Stadium der Demenz befindet.

Demenz tritt in unterschiedlichen Formen auf, die bekannteste ist die Alzheimer-Demenz. Laut der deutschen Alzheimergesellschaft ist der größte Risikofaktor für die Entwicklung einer Alzheimer-Krankheit das Alter. Nur in seltenen Fällen seien die Betroffenen jünger als 60 Jahre. Kennzeichnend für die Erkrankung sei der langsam fortschreitende Untergang von Nervenzellen und Nervenzellkontakten. Zum Krankheitsbild gehören Gedächtnis- und Orientierungsstörungen, Sprachstörungen, Störungen des Denk- und Urteilsvermögens sowie Veränderungen der Persönlichkeit.

Aus dem Publikum taucht nach der Filmvorführung die Frage auf: Ist den Patienten in Thailand bewusst, dass sie sich in einer fremden Kultur aufhalten? Darauf antwortet Dallmeyer, dass Ereignisse wie das ungewöhnliche Weihnachtsfest oder Ausflüge bei den Patienten gut ankämen. Es komme jedoch immer wieder zu Missverständnissen sprachlicher Natur, da nur wenige Thais fließend Deutsch sprechen. „Die körperliche Nähe, die ihnen (den Patienten) geboten wird, bekommt ihnen aber sehr gut“, sagt sie.

Das fröhliche Wesen der Pflegerinnen scheint hingegen beim Publikum Anklang zu finden. Eine Dame sagt: „Uns in Deutschland fehlt es oft daran, den Demenzerkrankten als Menschen zu sehen. Ich finde diese Unbekümmertheit der Pflegerinnen sehr positiv.“ Auch Dallmeyer sieht dies als Vorteil: „Es gab niemals mitleidige Blicke oder Trauer über den Verlust der Persönlichkeit“, erklärt sie.

Andreas Bethge, Fachreferent für Altenhilfe der Caritas Magdeburg, sieht das kritisch. Er sagt: „Ich habe Bauchschmerzen, dass in Thailand gerade nicht auf die Biographie der einzelnen Bewohner eingegangen wird“. In Deutschland werde jede Einrichtung darauf überprüft, ob sie in Form von traditionellen Liedern oder alten Fotos die Biographie der Patienten berücksichtige.

Seit der Pflegereform im Jahr 2017 gelte in Deutschland der Grundsatz „ambulant statt stationär“. Das heißt, die Pflegebedürftigen sollen so lange wie möglich zu Hause betreut werden. „Wenn jemand körperlich beeinträchtigt ist, kann man das abfangen. Bei Demenz ist das zu Hause schwer zu tragen“, sagt Bethge. Daher steige die Zahl jener, die in Pflegeheimen untergebracht werden.

Das belegen auch die aktuellen Zahlen des Statistischen Landesamtes: Ende 2017 waren circa 29 300 Menschen in stationären Pflegeeinrichtungen in Sachsen-Anhalt untergebracht. Dagegen wurden etwa drei Mal so viele Menschen, 81 000 Pflegebedürftige, zu Hause versorgt. 50 000 von ihnen durch pflegende Angehörige.

„Wir müssen auf diese Angehörigen aufpassen, damit sie uns nicht zusammenbrechen – sonst gibt es noch mehr Menschen, die einen Heimplatz benötigen“, gibt Bethge zu bedenken. Speziell Demenz sei dabei eine „Krankheit der Angehörigen“, weil sie meist stärker unter der Situation leiden würden als die Betroffenen selbst.

In Deutschland sei die Pflege verwissenschaftlicht, bedarf einer dreijährigen Ausbildung, „Dabei gibt es auch wunderbare Pflegehilfskräfte“, sagt Bethge. Der Film wecke aber falsche Utopien. „Die Erwartungen an das, was für Geld geleistet wird, sind zum Teil zu hoch“, sagt der Altenhilfeexperte. Das zeige sich schon im Vergleich der Personalanzahl: In Deutschland gelte ein Personalschlüssel von 1:10, das heißt, ein Mitarbeiter kümmert sich um zehn Patienten.

Im Dorf Faham kümmern sich drei Pfleger um einen Patienten – in Deutschland so nicht umsetzbar. „Wir müssen Geld in die Hand nehmen, um mehr Personal einzustellen“, sagt Bethge. Denn es könne nicht richtig sein, unsere Probleme in der Pflege auf andere Länder abzuwälzen.