1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Burg
  6. >
  7. Erste Anschaffung war ein Wörterbuch

Flüchtlingshilfe Erste Anschaffung war ein Wörterbuch

Am 20. Juni, ist Weltflüchtlingstag. Vor 22 Jahren kam Ashwaq Al-Obaidi  aus dem Irak nach Burg. Heute hilft sie ehrenamtlich Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten. Auch im Soziokulturellen Zentrum gibt es weiterhin Hilfestellung – auch nach 2015, als viele Menschen nach Deutschland flüchteten.

Von Luisa Hohenbrink Aktualisiert: 20.06.2021, 10:24
Ashwaq Al-Obaidi mit ihrer Einbürgersurkunde. Seit 22 Jahren lebt sie in Deutschland, nun hat sie die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten.
Ashwaq Al-Obaidi mit ihrer Einbürgersurkunde. Seit 22 Jahren lebt sie in Deutschland, nun hat sie die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Foto: Al-Obaidi

Burg - Mit einem breiten Lächeln im Gesicht zeigt Ashwaq Al-Obaidi das Foto auf ihrem Handy. Zu sehen ist Ashwaq, oder auch Zainab wie sie von Freunden und Familie genannt wird, mit Blumenstrauß und Urkunde in der Hand. Das Foto ist vom 6. Mai 2021, der Tag, an dem Ashwaq eingebürgert und zur deutschen Staatsbürgerin wurde. 

22 Jahre ist es mittlerweile her, dass sie aus ihrer Heimat Bagdad im Irak flüchten musste. 1999 kam sie in Halberstadt an und beantragte Asyl. Nur drei Tage später brachte Ashwaq ihre älteste Tochter auf die Welt – ohne, dass sie ein Wort Deutsch sprechen konnte. Mit Händen und Füßen versuchte sie, sich zu verständigen. Im selben Jahr zog Ashwaq nach Burg. Deutsch brachte sie sich selber bei.  „Ich habe 50 D-Mark gespart und mir davon ein Wörterbuch gekauft. Ich saß dann beim Kinderarzt mit diesem Buch und habe versucht, alles Wichtige zu übersetzen“, erzählt sie. Diese Erfahrungen habe die heute 53-Jährige geprägt. „Ich muss anderen Menschen helfen, damit sie es leichter haben“, schlussfolgerte Ashwaq für sich daraus.

Seit knapp sieben Jahren engagiert sich Ashwaq nun ehrenamtlich und hilft Menschen mit Fluchthintergrund, sich in Burg zurecht zu finden. Sie unterstützt bei der Übersetzung, bei der Suche nach einer Wohnung oder bei Gängen zum Amt.

Denn Ashwaq hat das alles selber erlebt und versucht so, ihre Erfahrungen an andere weiterzugeben. Für all das findet Ashwaq neben dem Betreiben ihres Dönerladens „Döner Burg“ und ihren vier Kindern, mit denen sie seit dem Tod ihres Mannes 2013 alleine ist, noch Zeit.

Für ihr Engagement  wurde Ashwaq vor vier Jahren mit dem Integrationspreis des Landes Sachsen-Anhalt in der Kategorie individuelles Engagement ausgezeichnet. Ein Foto mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier von der Preisverleihung hat Ashwaq auch noch auf ihrem Handy.  

Mittlerweile sei die Frage nach Hilfe wieder etwas abgeschwächt, 2015 sei sie jedoch sehr groß gewesen. Nach Angaben des Landkreises Jerichower Land leben derzeit 989 Menschen mit Fluchthintergrund in der Region. Vor allem Menschen aus Syrien und dem Irak kämen aktuell auf Ashwaq zu.

Soziokulturelles Zentrum bietet Sprachcafé an

Einem jungen Mann aus Ägypten habe sie gerade geholfen, einen Platz in einem Sprachkurs zu bekommen. Eine Anlaufstelle in Burg ist auch das Soziokulturelle Zentrum des Jugendwerks Rolandmühle. Hier ist ein Treffpunkt für Ehrenamtliche und Zuwanderer geschaffen worden.

Das Engagement sei weiterhin hoch, so Maximilian Schönborn vom Soziokulturellen Zentrum. Angeboten wird zweimal in der Woche das Sprachcafé, das nicht nur beim Lernen der deutschen Sprache unterstützen, sondern auch dabei helfen soll „die deutsche Kultur und Umgangsformen kennenzulernen“, wie ein Ehrenamtlicher berichtet. Ein festes Programm gibt es nicht, vielmehr solle sich ein Gespräch entwickeln, in dem Fehler korrigiert und besprochen werden.

Das Angebot werde weiterhin noch gut angenommen -  im Durchschnitt kämen bis zu acht Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Das seien Menschen aus Syrien und Afghanistan, die teilweise schon mehrere Jahre in Burg leben. „Diejenigen, die komme, wollen auch etwas lernen. Man merkt, dass viele auch zu Hause das Gelernte wiederholen“, erzählt er weiter.

Da er negative Reaktionen auf seine Arbeit mit Menschen mit Fluchthintergrund befürchtet, möchte er seinen Namen nicht nennen. In seiner Wohnumgebung gebe es Leute, die negativ gegenüber zugewanderten Menschen eingestellt seien. „Die denken, die nehmen uns was weg. Aber hätten die ohne sie mehr Geld? Nein“, erzählt er. Natürlich würden nicht alle so denken, aber viele. Der Anteil an AfD-Wählerinnen und Wählern sei bei der letzten Wahl in seiner Gegend sehr hoch gewesen.

Auch Ashwaq und ihre Familie wurden nicht immer mit offenen Armen empfangen. Als sie neu in der Stadt war, herrschte teilweise Misstrauen – eine Nachbarin hätte die Tür verschlossen, sobald Ashwaq, ihr Mann und die Kinder nach Hause gekommen sind.

„Früher hatten viele Angst vor fremden Leuten, wahrscheinlich durch Erlebnisse in der DDR“, so Ashwaq. Doch komme man erstmal in Kontakt, wäre das Eis schnell gebrochen. Mittlerweile kennen viele die „Burg Döner“-Betreiberin und grüßen sie, wenn sie draußen vor ihrem Laden steht.

Dass die 53-Jährige sich in Burg integriert und gut aufgenommen fühlt, betont sie. Auch wenn alle ihre Kinder irgendwann aus- und wegziehen, möchte sie die Stadt nicht verlassen. Jetzt, da sie die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen hat, ist sie gleichberechtigte Bürgerin Burgs – und darf nun auch politisch mitentscheiden. Bei der vergangenen Landtags-, Landrats- und Bürgermeisterwahl in Burg hat Ashwaq ihr Kreuz gesetzt. „Dieses Jahr durfte ich zum ersten Mal in meinem Leben wählen“, erzählt sie sichtlich stolz.