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Finanzen Ja zum Notgroschen, nein zum Dispo

Während die Zahl der Arbeitslosen im Kreis sinkt, stagniert die Schuldnerquote. Hilfe gibt es bei der Beratung in Burg und Genthin.

Von Kristin Schulze 14.09.2018, 01:01

Burg/Genthin l Dagmar und Willi B. sind verzweifelt. Jeder Cent wird sprichwörtlich zweimal umgedreht und doch wächst das Minus auf dem Konto. Rechnungen können nicht mehr bezahlt werden, Mahnung um Mahnung flattert ins Haus ...

Mit diesen Problemen ist das Ehepaar B. nicht alleine. Zwar ist die Arbeitslosenquote im Jerichower Land in den vergangenen zehn Jahren von 12,8 auf 7,8 Prozent gesunken, doch die Schuldnerquote stagniert im Kreis bei knappen 12 Prozent. Die Zahl ergibt sich, indem die überschuldeten Personen ins Verhältnis zur Bevölkerungszahl gesetzt werden.

Hilfe in solchen Fällen bietet Andreas Mösenthin von der Diakonie an. Wie das Ehepaar B. kommen die meisten Leute erst zur Schuldnerberatung, „wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist“. Die Schulden seien bereits gemacht, so Mösenthin. „Im Optimalfall würden die Menschen zu uns kommen, bevor sie Verbindlichkeiten eingehen.“

Bei der sozialen Schuldnerberatung versucht Mösenthin den Hilfesuchenden ein Stück „finanzielle Allgemeinbildung“ beizubringen. Viele Menschen seien mit den Möglichkeiten unserer Gesellschaft überfordert. „Für unsere Großmütter war es noch undenkbar eine Waschmaschine auf Pump zu kaufen, für uns ist das ganz normal“, sagt Mösenthin. Wenn dann noch monatliche Raten für das Auto und weitere Ausgaben für die spontane Großbestellung aus dem Internet dazu kommen, ginge es finanziell irgendwann nicht mehr.

Mösenthin betreut hauptsächlich Menschen zwischen 30 und 50 Jahren, wie Dagmar und Willi B. Aber auch junge Menschen kämen immer häufiger und nach oben gäbe es altersmäßig überhaupt keine Grenzen. „Viele Rentner haben monatlich sehr wenig Geld zur Verfügung“, sagt Mösenthin und spricht von dreistelligen Beträgen. Da könne das finanzielle Gleichgewicht schon aus den Fugen geraten, wenn die Betriebskosten anfallen.

Aber zurück zum Ehepaar B., das nun darauf vorbereitet werden soll, seine finanziellen Angelegenheiten selbst zu regeln. Andreas Mösenthin beginnt wie Peter Zwegat, der bekannte Berater aus der TV-Sendung „Raus aus den Schulden“: Er listet Einnahmen und Ausgaben auf. „Vielen ist überhaupt nicht klar, wo ihr Geld bleibt.“ So ist auch Familie B. überrascht, dass rund 150 Euro monatlich in den Kauf von Zigaretten fließen. „Dass Willis Zigaretten so viel Geld kosten, hätte ich nicht erwartet“, erzählt Dagmar B., selbst übrigens Nichtraucherin. Auf ihr Konto gehen dagegen einige Abschlüsse von Versicherungen, die Andreas Mösenthin kritisch hinterfragt.

Braucht man eine Rechtsschutzversicherung, wenn man seine Miete kaum noch bezahlen kann? Ist eine Sterbegeldversicherung unabdingbar, wenn für Lebensmittel am Ende des Monats kein Geld mehr da ist? Das seien Fragen, die man sich nach der Auflistung der monatlichen Fixkosten stellen müsse.

In der Beratung sei es allerdings genauso wichtig, die eigenen Wertvorstellungen nicht auf andere zu übertragen. „Die Rechtsschutzversicherung soll auf den Prüfstand, wem sie sehr wichtig ist, der soll sie behalten.“

Nach dem Durchsprechen der finanziellen Situation folgt das Gespräch mit den Gläubigern. „Reden hilft immer“, sagt Mösenthin. Ratenzahlungen könnten vereinbart werden, manche angeschafften Dinge lassen sich auch noch zurück geben, zählt er Möglichkeiten auf, den Schuldenberg zu verkleinern. „Wenn nötig helfen wir beim Aufsetzen von Schreiben.“ Besonders von Überschuldung betroffen sind laut Schuldneratals für Sachsen-Anhalt Menschen ohne Arbeit. Aber auch „Konsumverlockungen“ und die Niedrigzinsen spielen eine Rolle. Ungeplante und abrupte Veränderungen in den Lebensumständen wie Krankheit oder Unfall können außerdem dazu beitragen.

Fallen im Alltag seien laut Mösenthin Kreditkarten und der Dispo-Kredit. „Mit beiden ist es sehr einfach, Geld auszugeben, das man nicht hat. Da lohnt sich ein sorgfältiges Prüfen.“ Kreditkartenschulden würden sich häufen. Weil das Geld erst lange nach dem Ausgeben vom Konto gebucht wird, liegen die dann oft „locker im vierstelligen Bereich“, so Mösenthin.

Dagmar und Willi B. geloben Besserung und wollen die Kreditkarten nun lieber nicht mehr nutzen. Statt des Dispos empfiehlt Mösenthin, wenn es denn gar nicht ohne einen Kredit geht, ein Darlehen bei der Bank. „Da sind die Zinsen günstiger und man rechnet auch eher noch einmal durch, ob man sich das Gewünschte tatsächlich leisten kann.“ Mösenthin rät außerdem dazu einen Notgroschen, ob im Sparstrumpf oder als Tagesgeldkonto, anzulegen. „Selbst wenn man monatlich nur 10 Euro in diesen Notgroschen investiert, ist das besser als nichts und hilft bei unvorhergesehenen Ausgaben.“ Und der Klassiker unter den Ratschlägen: Das Führen eines Haushaltsbuchs macht die eigenen Finanzen transparent.

Diese Tipps sind eine Seite der Beratung, die andere sind die Schulden. Hier erklärt Mösenthin zum Beispiel den Sinn eines Pfändungsschutzkontos. Während vom normalen Girokonto das komplette Guthaben gepfändet werden darf, ist der Vollstrecker beim geschützten Konto an die Lohnpfändungstabelle gebunden. Beispiel: Von 1200 Euro monatlichem Lohn dürfen nur 46,34 Euro gepfändet werden, bei einem Verdienst von 1800 Euro sind es 119,75 Euro. Aber nur wenn der Betroffene keine Kinder hat. Kommt er für den Unterhalt von einem Kind auf, dürfen nur noch 70 Cent gepfändet werden, bei zwei Kindern oder mehr darf das Konto gar nicht belastet werden.

Die letzte Möglichkeit bei Überschuldung ist die Privatinsolvenz. Mösenthin hilft bei den Formalien und erklärt, was die Betroffenen in der sechsjährigen Laufzeit des Verfahrens erwartet.

Soweit wollen es Dagmar und Willi B. nicht kommen lassen. Sie sind zuversichtlich, ihre finanziellen Probleme mit Hilfe der Tipps aus der Schuldnerberatung in den Griff zu bekommen.