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17. Juni 1953 Freilassung politischer Häftlinge gefordert

Im Unterschied zu anderen Städten im Kreis Burg beteiligten sich am 17. Juni 1953 in der Ehlestadt hunderte Demonstranten an den landesweiten Protesten. In Gommern wurde die Freilassung der politischen Gefangenen aus der Gefängnis in der Wasserburg gefordert.

Von Manuela Langner 16.06.2021, 17:19
Anlässlich des Jahrestages wehen heute vor dem Rathaus in Gommern wieder die Fahnen. Das Beflaggen von Dienstgebäuden regelt  ein Erlass. Neben dem 1. Mai, 17. Juni, 3. Oktober oder Volkstrauertag wird beispielsweise auch am 16. Juli beflaggt, dem Jahrestag der Landesverfassung.
Anlässlich des Jahrestages wehen heute vor dem Rathaus in Gommern wieder die Fahnen. Das Beflaggen von Dienstgebäuden regelt ein Erlass. Neben dem 1. Mai, 17. Juni, 3. Oktober oder Volkstrauertag wird beispielsweise auch am 16. Juli beflaggt, dem Jahrestag der Landesverfassung. Foto: Manuela Langner

Gommern - Die monatliche Pfarrkonferenz fand am 17. Juni 1953 in der Superintendentur in Gommern statt. Die Teilnehmer hatten jedoch Mühe, sich auf ihre Dienstgespräche zu konzentrieren. Ihre innere Anspannung wuchs mit der äußeren Unruhe, als Arbeiter der Bau-Union und der Geologischen Bohrungen am späten Vormittag zum „Zwiebelturm“, dem Gefängnis im Schloss, zogen, um die Freilassung der Inhaftierten zu verlangen. Der Menzer Pfarrer Gerhard Schlegelmilch hatte auf dem Weg zum Pfarrhaus das Geschehen in Gommern beobachtet.

Auf der Baustelle der Bau-Union hatten die Arbeiter von den beginnenden Streiks in Magdeburg erfahren. Arbeiter des VEB Geologische Bohrungen schlossen sich an. Nach Erinnerungen von Zeitzeugen hielt Werner Mangelsdorf eine begeisternde Rede. Forderungen der Betriebsleitung, die Arbeit wieder aufzunehmen, liefen ins Leere.

Der Demonstrationszug setzte sich zuerst in Richtung Polizeirevier in Bewegung, um dort die Waffen wegsperren zu lassen.

Gegen 15.15 Uhr sei der Demonstrationszug mit 500 bis 800 Menschen vor der Haftanstalt eingetroffen, geht aus den Unterlagen des Anstaltsleiters hervor. Er war schon unter Mittag von der Volkspolizei in Burg über die zu erwartenden Protestierenden informiert worden und forderte mehrmals personelle Verstärkung an - ohne Erfolg. Die Kasernierte Volkspolizei habe Hilfe abgelehnt, weil kein Befehl aus Berlin vorgelegen habe, erläuterte Hermann-Josef Rupieper zu den Vorgängen in Gommern.

Um 14 Uhr erhielt der Anstaltsleiter einen Anruf aus Magdeburg. Die Mitarbeiter einer Textilreinigungsfirma forderten die Freilassung ihres Chefs - sonst seien gleich zehn Lkw mit Befreiern aus Magdeburg unterwegs.

Als Reaktion darauf forderte der Anstaltsleiter beim Kreisamt der Volkspolizei in Burg erneut Verstärkung an. Dieses Mal erhielt er die Nachricht, dass sowjetische Soldaten bald in Gommern eintreffen würden.

Die Demonstrierenden forderten die Freilassung der Grenzgänger und der politischen Häftlinge. Als der Anstaltsleiter das ablehnte, wurde ihm ein Ultimatum gestellt. Auch nach dessen Ablauf verweigerte er die Herausgabe der Häftlinge.

Aufständische zogen in vielen Städten zu den Gefängnissen. Ursache war das Gesetz zum Schutz des Volkseigentums, das härteste Strafen für geringfügige Eigentumsdelikte ermöglicht hatte. In Magdeburg und Gommern zusammen wurden laut Rupierer 319 Häftlinge am 17. Juni befreit, bis 23. Juni waren 277 wieder aufgegriffen worden.

Gegen 15.30 Uhr begann der Sturm auf das Gefängnis. Das Tor wurde durch die Aufständischen gewaltsam geöffnet. Sie befreiten Häftlinge aus ihren Zellen. Der Anstaltsleiter verweigerte die Herausgabe der Akten und versuchte Zeit zu gewinnen, da er jeden Moment mit dem Eintreffen der sowjetischen Soldaten rechnete. Zugleich lehnten es die 31 Häftlinge ab, ohne Entlassungspapiere nach Hause zu gehen.

Weil alles sehr langsam vonstatten ging, nahm die Aggressivität zu. Es kam zu Beschimpfungen, Tritten und Schlägen. Um eine weitere Eskalation zu vermeiden, schrieb Eberhard Nachmann Entlassungspapiere aus. Nachmann, der 1945 kurz Bürgermeister in Gommern gewesen war, hatte inzwischen Jura studiert. Als er nach der Rückkehr von der Arbeit seine Frau nicht zuhause in der Walther-Rathenau-Straße 6, also in unmittelbarer Nachbarschaft der Wasserburg, angetroffen hatte, hatte er sie im Demonstrationszug vermutet und nach ihr gesucht. Als die bewaffneten Kräfte anrückten, war er bereits wieder zuhause, wie in Maren Ballerstedts Aufsatz über Nachmann als Verfolgter zweier Regime nachzulesen ist. Um 15.45 Uhr traf der Zug aus Magdeburg ein. Die Protestierenden zogen in Richtung Stalinstraße und Gefängnis.

Etwa zwölf bis 15 Entlassungspapiere waren ausgeschrieben, als die Rote Armee gegen 16 Uhr am Gefängnis anrückte. Die Soldaten hatten sich verfahren und erreichten Gommern deshalb deutlich später als geplant.

Der Anstaltsleiter hatte für weitere Verzögerungen gesorgt, in dem er beispielsweise erst eine Liste der Grenzgänger erstellte, die ihre Strafe schon verbüßt hatten und auf ihren Abtransport in den Westen warteten.

Die Rote Armee sorgte dafür, dass die Häftlinge zurück in ihre Zellen kamen und die Schlösser an den Zellentüren repariert wurden. Gegen 17 Uhr wurde der Schutz des Gefängnisses an die Kasernierte Volkspolizei übergeben.

Insgesamt 18 Häftlinge waren freigekommen.

Nach 21 Uhr war die Kasernierte Volkspolizei immer noch auf der Suche nach fünf Häftlingen.

Menz und Königsborn seien umstellt gewesen, beschrieb Pfarrer Schlegelmilch in seinen Erinnerungen an den 17. Juni 1953. Es habe Passkontrollen gegeben. Mehrere Menzer seien in Folge des 17. Juni zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Der Bericht von Pfarrer Schlegelmilch und des Anstaltsleiters haben Eingang in das Buch von Anne Haertel „Die Ereignisse des 17. Juni 1953 im Bezirk Magdeburg“ gefunden. Zu den Verurteilten des 17. Juni 1953 gehörte auch Eberhard Nachmann. Erst 1957 wurde seine sechsjährige Gefängnisstrafe zur Bewährung umgewandelt.