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Gefängnis Ein Leben danach - aber wie?

Straftäter vor einem Rückfall zu bewahren ist eine riesige Herausforderung für den Verurteilten und die Gesellschaft.

Von Franziska Ellrich 31.08.2016, 01:01

Burg l Zwei maskierte Männer warten in der Dunkelheit an einer Ampelkreuzung auf ihr Opfer. Sie überfallen eine junge Frau hinterm Steuer, treten immer wieder auf sie ein und hauen mit dem gestohlenen Wagen ab. Einer der Jungs landet im Gefängnis und bekommt später die Chance auf einen Neuanfang in einer familiären Einrichtung des freien Vollzugs. Doch die Sozialarbeiterin dort ist das Opfer vom Autoüberfall. Und der Täter erfährt, dass sie durch seine Tritte ihr Kind verloren hat. Es beginnt ein Versteckspiel – mit Tränen des Selbstmitleids und einem zermürbenden Gewissen.

Das, was da am Dienstagabend über die Leinwand des Burger Kinos flimmert, sind genau die Themen, mit denen sich der Arbeitskreis ‚Resozialisierung und Kriminalprävention‘ im Jerichower Land täglich auseinandersetzt. Wie wichtig ist ein sogenannter Täter-Opfer-Ausgleich? Wie gut kann eine Resozialisierung der Täter hinter Gittern funktionieren? Wie finden Straftäter, die sich über Jahre hinweg ein hohes Aggressionspotential antrainiert haben, wieder zurück in einen normalen Alltag?

Um diese Fragen einmal mit Fachleuten zu besprechen, hat der Arbeitskreis zum Film ‚Schuld sind immer die Anderen‘ mit anschließender Podiumsdiskussion eingeladen. Seit 2009 gibt es die Justizvollzugsanstalt in Burg. Bereits 2010 haben sich die Akteure vor Ort zu einem Arbeitskreis zusammen geschlossen. Immer mit dem Ziel, den Straffälligen auf dem Weg zurück ins normale Leben zu helfen. Doch die Hürden sind groß.

Jennifer Schmidt vom Landesverband für Kriminalprävention und Resozialiserung moderiert am Dienstag die Veranstaltung und wirft gleich zu Beginn die geschätzte Zahl einer Rückfallquote von 50 Prozent ein. Jennifer Schmidt macht deutlich, wie wichtig bereits die ersten Stunden und Tage des Ex-Häftlings zurück in Freiheit sind. Wohnung, Job, Familie – was erwartet den Straftäter draußen?

Ob der Umstand, dass im Schnitt jeder Zweite gleich wieder kriminell handelt, eine Schwäche im System aufzeigt, will die Moderatorin von Delia Göttke wissen. Göttke ist seit 25 Jahren die Geschäftsführerin des Landesverbandes für Kriminalprävention und Resozialisierung. Delia Göttke macht deutlich: Was Menschen sich über Jahre antrainiert haben – zum Beispiel mit hohem Aggressionspotential eine Mauer aufgebaut – sei nicht einfach wieder abzutrainieren.

Der junge Mann in dem Film ist früh von Zuhause abgehauen, hatte Stationen in verschiedenen Heimen hinter sich. Für die Landesverbands-Geschäftsführerin ein entscheidendes Thema: „Wenn jemand bereits in Haft ist, müssen wir uns eigentlich fragen, welche Systeme haben schon weit vorher versagt.“

Geht es nach Delia Göttke sollte man auch in Sachsen-Anhalt über neue Einrichtungen nachdenken, an denen die Straftäter einen Weg ins alltägliche Leben zurückfinden. „Wir müssen uns politisch ein bisschen bewegen.“ Jeder Fall eines Häftlings müsste ganz individuell betrachtet werden.

Bisher gibt es in Sachsen-Anhalt solche Wohnprojekte im Rahmen des Vollzugs nicht, sondern vor allem die Justizvollzugsanstalten. Wie kann Resozialierung in den Gefängnissen funktionieren, will Jennifer Schmidt wissen. Der Burger Anstaltsleiter ist Thomas Wurzel. Er erklärt: „Die vielfältigen Angebote wie zum Beispiel Anti-Aggressions-Training gibt es vom ersten Tag der Aufnahme an. Doch ob die Häftlinge die Möglichkeiten annehmen, ist eine andere Sache.“

Wie wichtig die eigene Bereitschaft ist, sich zu verändern, betont auch Daniel Laqua. Er ist ehrenamtlich in der Straffälligenhilfe tätig und leitet eine Begegnungsgruppe. Er spricht aus Erfahrung: „Wer lange im Vollzug war, wird vom Leben draußen total entfremdet. Das muss erst wieder neu gelernt werden.“ Von den Tätern schlägt Moderatorin Jennifer Schmidt die Brücke zu den Opfern: „Was wünschen sich die Opfer?“ Karl-Heinz Summa ist Außenstellenleiter vom Weissen Ring. In seiner Zusammenarbeit mit den Opfern habe er die Erfahrung gemacht, das zu 90 Prozent die Opfer nicht mit ihren Tätern zusammentreffen wollen.

Oftmals wünschten sich die Opfer eine Wiedergutmachung, die jedoch vor allem an eine finanzielle Entschädigung gekoppelt ist, als an den Fakt, dass die Täter „weggeschlossen“ werden. Für Delia Göttke allerdings ist der Austausch von Tätern und Opfern ein enorm wichtiger Schritt, um sowohl die Einsicht beim Täter zu verändern als auch das Trauma eines Opfers zu bearbeiten. „Man kann niemanden zwingen, aber der Täter muss nach der Straftat zur Einsicht kommen, sonst steht das allen weiteren Schritten im Weg“, sagt Delia Göttke.

Genau darum geht es auch einem Zuhörer im Publikum. Jürgen Groth will wissen, wie man in der Burger JVA darauf vorbereitet ist, einen enorm aggressiven Täter – wie den jungen Mann aus dem Film – auf die richtige Bahn zu leiten. „Das Personal muss Präsenz zeigen, hinschauen und sanktionieren“, erklärt Anstaltsleiter Wurzel. Und nennt Zahlen: Auf rund 600 Gefangene kommen nicht mehr als 50 Vollzugsbeamte. „Die können nicht überall sein.“ Bei den Stichworten Höflichkeit, Respekt, Pünktlichkeit, stellt Wurzel klar: „Wir sprechen hier von Resozialisierung, doch viele der Straftäter müssen wir erstmal sozialisieren.“ Viele würden aus einem Umfeld kommen, in dem allein „Gewalt, Spaß und das schnelle Geld“ zählen.

Auch räumt der Anstaltsleiter ein, dass das Personal in deutschen Gefängnissen oft überfordert ist. Die personelle Ausstattung müsste besser sein – und erst recht, wenn man solche betreuten Wohnprojekte wie in dem Film umsetzen wolle. Ob diese Art von Vollzug überhaupt eine Option ist, zweifelt Volker Heuer an. Er ist Referatsleiter im Justizministerium und sagt: „Man sollte nicht unterschätzen, dass der gesellschaftliche Konsens nicht da ist.“ Die Menschen würden sofort vor so einer Einrichtung stehen und demonstrieren.

Dass die Menschen, die sich dem Thema ‚Resozialisierung‘ annehmen, die wichtigste Voraussetzung sind, betont auch Jennifer Schmidt. Und dazu gehören alle: Vermieter, die Ex-Häftlingen eine Bleibe, Arbeitgeber, die ihnen eine Perspektive und Nachbarn, die den Straftätern eine neue Chance geben.