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Gewerkschaft Erfolgreiche Verhandlungen

Arbeitskampf bei einem Burger Autozulieferer: Axel Weber von der IG Metall im Interview.

Von Marco Hertzfeld 03.07.2018, 14:26

Wie feiert eigentlich ein Gewerkschaftssekretär, knallen da auch gleich einmal die Sektkorken?
Ich lasse es beim Feiern eher langsam angehen. Zwei, drei Bier reichen mir, dazu ein gutes Essen und ich bin zufrieden. Sekt oder Schnaps brauche ich nicht, um einen schönen Abend zu haben.
Inwieweit ist ein Sieg auf ganzer Linie, so scheint er ja zumindest, für die IG Metall selbstverständlich?
Wir haben in der Auseinandersetzung um die Tarifbindung für die Beschäftigten der Constellium Burg GmbH unser Ziel erreicht und sind stolz darauf. Die Firma wird rückwirkend zum 1. Januar 2018 wieder Mitglied im Arbeitgeberverband und sämtliche Tarifverträge kommen für die Gewerkschaftsmitglieder zur Anwendung. Bereits fällige Zahlungen werden nachgeholt. Von uns als Sieger möchte ich nicht sprechen, das wäre der Sache nicht angemessen. Wenn es Sieger gibt, gibt es auch Verlierer. Verlierer sehe ich hier nicht. Die Beschäftigten haben die Gewissheit, durch den Tarifvertrag angemessen bezahlt zu werden, und die Firma hat nun wieder motivierte Mitarbeiter.
Das mag ja alles sein. Doch noch einmal: Wie selbstverständlich ist so ein Erfolg aus Gewerkschaftssicht?
Selbstverständlich ist so ein Erfolg nicht. So etwas gelingt nur, wenn eine Belegschaft sich in der Gewerkschaft organisiert und bereit ist, für ihre Ziele aktiv zu werden. Die Menschen müssen bereit sein, Gesicht zu zeigen und zu dem stehen, was sie fordern. Hier war jeder Einzelne gefordert. Das haben die Metallerinnen und Metaller bei Constellium getan. Dafür zolle ich ihnen großen Respekt.
Was hat die Auseinandersetzungen mit dem Autozulieferer Constellium in Burg und dem baden-württembergischen Crailsheim besonders gemacht?
Das Besondere war, dass die Geschäftsführung für alle drei Werke in Deutschland zum 31. Dezember 2017 den Austritt aus den Arbeitgeberverbänden erklärt hat. Die Arbeitgebervertreter haben in den Verhandlungen in Burg, Crailsheim und Landau übereinstimmend erklärt, weder einen Anerkennungs-tarifvertrag noch einen Haustarifvertrag zu akzeptieren und schon gar nicht wieder in den Arbeitgeberverband einzutreten. Die Kolleginnen und Kollegen haben länderübergreifend auf diese Kampfansage reagiert, den gemeinsamen Widerstand organisiert. Sie haben so gut zusammengehalten, dass sehr erfolgreich Warnstreiks und auch der Erzwingungsstreik möglich waren, was letztendlich zum bekannten Ergebnis geführt hat.
An wie vielen Arbeitskämpfen im Jerichower Land waren Sie bereits beteiligt und welcher ist Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben?
Neben einigen Warnstreiks in der Burger Küchenmöbel GmbH war die Tarifauseinandersetzung bei Constellium in Burg die gravierendste und wird mir lange in Erinnerung bleiben. Ich hoffe, dass das Beispiel von Constellium Schule macht und andere Belegschaften ermutigt, für Tarifverträge und somit für eine angemessene Bezahlung aktiv zu werden.
Wie viele Unternehmen im Landkreis gehören zur Branche und wie viele davon bezahlen ihre Leute so, dass es der IG Metall gefällt?
Zur Anzahl der Betriebe habe ich ehrlich gesagt keine aktuelle Erhebung. Neben Constellium fallen mir spontan nur ESC Burg und die Burger Küchenmöbel ein, die Tarif zahlen.
Geld ist sicherlich wichtig, doch wobei kann es aus Ihrer Sicht noch haken?
Immer mehr Beschäftigte wollen neben der Arbeit auch etwas vom Leben haben. Deshalb rücken das Thema Arbeitszeit und vor allem die Schichtarbeit immer mehr in den Fokus. Mit dem letzten Tarifabschluss haben wir einige Regelungen auf den Weg gebracht, die dem gerecht werden. Es gibt aber noch sehr viel zu tun.
Also Hand aufs Herz: Ist das Jerichower Land ein gutes Pflaster für Gewerkschaften oder eher schwierig?
Die Frage kann man so nicht stellen, weil die Antwort dann der Sache nicht gerecht werden kann. Es kommt immer auf die Menschen in der jeweiligen Region, im jeweiligen Betrieb an. Wenn die Menschen es wollen, gibt es die Möglichkeit, gute Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Das fängt damit an, dass sie bereit sein müssten, in die Gewerkschaft einzutreten. Es wird niemanden geben, der stellvertretend für die Beschäftigten des jeweiligen Betriebes die Dinge zu ihrer Zufriedenheit regelt. Sie müssen selbst aktiv werden, Betriebsräte wählen und mit den Gewerkschaften zusammenarbeiten.
Der Aderlass beim DGB und den Einzelgewerkschaften in den 1990er- und 2000er-Jahren war gerade im Osten groß. Viele Tausende Mitglieder hatten auch die IG Metall verlassen. Wie viele Mitglieder zählt Ihre Gewerkschaft derzeit und wie stark können Sie sich damit fühlen?
Das stimmt, in den 90er-Jahren haben viele der Gewerkschaft den Rücken gekehrt. Seit circa sechs Jahren wendet sich das Blatt. Die IG Metall hat mehr Neueintritte als Austritte. Die Mitgliederzahlen in den Betrieben wachsen wieder. In meiner Geschäftsstelle sind wir circa 13 000 Mitglieder. Tendenz leicht steigend. Damit haben wir weit mehr Mitglieder als manche Regierungspartei in Sachsen-Anhalt.
Unter den bundesweit knapp 2,3 Millionen Mitgliedern der Industriegewerkschaft Metall befindet sich eine halbe Million Senioren. Warum sind Ihnen diese verdienten Kollegen wichtig?
Die Senioren sind uns wichtig, weil sie über einen riesigen Erfahrungsschatz verfügen. Sie haben den Systemwechsel vom real existierenden Sozialismus zum real existierenden Kapitalismus, der immer weniger mit einer sozialen Marktwirtschaft zu tun hat, erlebt. Diese Lebenserfahrung kann man nicht studieren, deshalb ist es uns wichtig, dass die Senioren unter anderem in der Delegiertenversammlung ihre Stimme erheben und ihre Meinung zu den Themen des Alltags sagen.
In der westdeutschen Metallindustrie gilt bereits seit Mitte der 1990er-Jahre die 35-Stunden-Woche. Wie weit ist Ostdeutschland davon noch entfernt?
Wie gesagt, es sind die Menschen, die Veränderungen herbeiführen können und müssen. Viele Betriebe in Sachsen-Anhalt sind Teil von Konzernen, in denen es im Westen üblich ist, 35 Stunden in der Woche zu arbeiten. Unsere Kolleginnen und Kollegen arbeiten 38 Stunden in der Woche oder mehr. Damit arbeiten sie übers Jahr gerechnet fast einen Monat länger als ihre Kollegen im Westen. Ich bin davon überzeugt, dass es die 35-Stunden-Woche nur geben wird, wenn wir in der Lage sind, die Arbeitgeber, wie bei Constellium, dazu zu zwingen. Das muss allen, die von einer 35-Stunden-Woche träumen, und sich darüber beklagen, dass es 28 Jahre nach der Wende immer noch solche Unterschiede gibt, klar sein.
Sie wissen doch bestimmt schon mehr, wo zeichnen sich neue Konflikte in dieser Region ab?
Dazu möchte ich nichts sagen.
 
Wie schätzen Sie die wirtschaftliche Situation im Landkreis ein, in welchen Bereichen ist er stark und in welchen schwach?
Da wir gerade beim Neuaufbau gewerkschaftlicher Strukturen im Jerichower Land sind, habe ich die noch nicht detailliert untersucht. Von dem, was ich bisher weiß, kann man davon ausgehen, dass sich das Jerichower Land nicht nennenswert von anderen ländlich geprägten Regionen unterscheidet.
Wann wird eine Gewerkschaft eigentlich überflüssig?
Solange Menschen sich über Geld definieren, wird es die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen geben. Solange werden sich abhängig Beschäftigte zusammenschließen müssen, um ihre persönliche Situation zu verbessern. Für diesen Zusammenschluss sind Gewerkschaften das adäquate Mittel.
Wenn das denn wirklich so ist, was erwarten Sie von den Menschen an der Basis, was ist Ihnen dort vor allem noch wichtig?
Hier könnte ich sicher ein Buch schreiben. Ich würde mir wünschen, dass die Menschen sich bei allen politischen und betrieblichen Themen zu allererst die Frage stellen: Wem nützt das? Und dann daraus schlussfolgern, wie sie damit umgehen. Zudem sollten wir uns darüber klar werden, dass wir Veränderungen in allen Bereichen des Lebens nur selbst herbeiführen können.