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Gratulation In Gübs eine neue Heimat gefunden

Josef Kochanek hat in seinem Leben viel erlebt. 1945 musste er seine Heimat verlassen. Nun feiert er in Gübs 90. Geburtstag.

Von Christian Luckau 28.11.2018, 05:00

Gübs l An Oberschlesien hängt noch immer sein Herz. Dort wurde er geboren und dort hin kehrt er in jedem Jahr zurück. Gräuel empfindet er nicht, aber Wehmut. Josef Kochanek ist einer der Millionen Vertriebenen, die 1945 ihre Heimat verlassen und neu anfangen mussten. Ohne Chance zurückzukehren, ohne ein Foto oder eine greifbare Erinnerung an das, was einst die Heimat, die Kindheit und Jugend war. An die Zeit in Oppeln kann sich Josef Kochanek noch sehr gut erinnern. Sein Vater war damals Feuerwehrkommandant dort, er selbst in der Jugendfeuerwehr des Dritten Reiches. Den Hitlerjugend-Feuerwehrscharen.

Das hat ihn aber nicht geprägt. Es sind die Menschen, zu denen er auch 73 Jahre nach dem Krieg noch immer Kontakt hat.

Dabei hatte er, als er am 14. April 1945 erst zum Reichsarbeitsdienst, dann in die Wehrmacht eingezogen wurde, noch keinen Gedanken daran verschwendet nicht wieder zurückkehren zu können. War er doch gerade im zweiten Lehrjahr zum Elektroinstallateur.

„Ich bin in Friedeck eingezogen worden, dann ging es mit dem Zug nach Berlin zur Einkleidung. Kurz darauf stand ich bereits als MG-Schütze an der Front bei Treuenbrietzen-Belizig. Dort wurde ich am 26. April 1945 von einem Granatsplitter am rechten Bein getroffen und verwundet“, berichtet Josef Kochanek vom Glück im Unglück. Denn während er in das Lazarett Margaretenhof nach Magdeburg kam, mussten seine ebenso jugendlichen Freunde weiter kämpfen und sinnlos sterben.

Auch Josef Kochanek hatte es nicht leicht, wenn auch sein Schicksal ein anderes war. „Im August 1945 wurde ich an die Stadt Magdeburg übergeben. Da hatte ich noch immer eine offene Wunde. Es gab nichts zu essen, keine Marken, ich litt Hunger. Mir blieb nichts weiter, als eines der vielen Angebote der Bauern anzunehmen, die Arbeitskräfte suchten“, schildert er die ersten Monate nach dem Krieg.

„Die Bauern waren nicht sehr freundlich. Wir waren wenig willkommen, auch hier in Gübs war das so, wie überall“, erinnert sich das Geburtstagskind. Sieben Jahre blieb er Feldarbeiter, dann wurde die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) gegründet. In dieser Zeit lernte er auch seine Frau beim Tanz kennen. Sie musste als Kind ebenfalls aus Schlesien flüchten, fand in Gübs eine Zuflucht. Zwei Menschen, eine Geschichte.

„1953 kamen wir offiziell zusammen. Zwei Jahre später haben wir uns verlobt. 1957 heiraten wir dann in der Gübser Kirche“, erzählt Josef Kochanek. Für diese Hochzeit musste eigens ein katholischer Pfarrer in die evangelische Kirche kommen, denn beide sind heimatlich katholisch geprägt und erzogen.

Josef wagte es noch einmal, begann eine neue Lehre als Kfz-Elektriker, fing danach eine Arbeit in der LPG-Werkstatt in Menz an. In seiner Freizeit engagierte er sich im Brandschutz, schaute gemeinsam mit seiner Frau, ob die Haushalte in Gübs die Feuerstätten ordnungsgemäß betrieben und es keine Gefahren für einen Brand gab. Diese Aufgabe übernahm er bis 1990. Mit der Auflösung der Deutschen Demokratischen Republik fiel sie weg.

Familiär blieben Josef und seine Frau nicht lang allein. Bereits 1959 machte Sohn Siegfried aus dem Paar eine Familie. 1965 kam Bruder Raimund hinzu und komplettierte die Kochaneks. Die musste irgendwo wohnen, deshalb hatte das junge Paar schon 1959 eine alte Ruine von einem Bauern erworben, diese abgebrochen und damit begonnen ihr eigenes Heim aufzubauen. In diesem leben sie noch heute. Allerdings nie allein.

„Wir hatten früher bis zu 100 Hühner und bis zu vier Schweine auf dem Hof. Heute gehören noch zehn Hühner, Pony Hansi und Esel Siggi zum täglichen Junghalteprogramm von Josef Kochanek. Die sind es aber nicht allein, die das Geburtstagskind auch mit 90 noch mehr als fit erscheinen lassen. „Meine Frau pflegt mich und hält mich fit. Schließlich ist sie ja sechs Jahre jünger“, scherzt Josef.

Der fährt seit den 1960er Jahren einmal jährlich zurück an seinen Geburtsort. Damals mit der Familie, heute mit Sohn Raimund und Enkel Stefan. Einmal, um die Gräber seiner Eltern zu pflegen und um zu zeigen, woher Kochaneks – das aus dem polnischen ins deutsche übersetzt Liebling heißt – wirklich kommen. Wenn das Wetter gut und die Sicht noch besser ist, dann schwingen sich Josef und seine Frau am liebsten auf den Drahtesel, um gemeinsam über den Elbdeich bei Gübs zu radeln und die Natur zu genießen.

Neben Enkel Stefan gibt es auch noch Enkelin Lisa und die beiden Urenkel Wenke und Lorenz, die das Glück der Kochaneks perfekt machen.