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Holocaust-Gedenken Den Ermordeten ein Gesicht geben

An sechs Standorten erinnern in Burg Stolpersteine an Schicksale von Juden, die im Dritten Reich in Konzentrationslagern ums Leben kamen.

Von Andreas Mangiras 29.01.2018, 05:00

Burg l „Hier in der Bergstraße haben in der Pogromnacht am 9. November 1938 Burger zu Steinen gegriffen und das Haus Nr. 6, in dem die Familie von Abraham und Mira Fraymund lebte, beworfen“, sagt Pfarrer Joachim Gremmes. Gut 20 Burger stehen am Sonnabend um ihn herum. Sie begleiten ihn auf einem besonderen Spaziergang. Er führt zu den sechs Stolperstein-Plätzen in Burg, die an im Dritten Reich ermordete Burger Juden erinnern sollen. „Wir wollen den Ermordeten einen Namen und ein Gesicht geben“, sagt Gremmes.

Sonnabend ist der 27. Januar. Seit 1996 ist dieser Tag, an dem 1945 das Konzentrationslager Auschwitz befreit wurde, offizieller Gedenktag in Deutschland. Es soll erinnert werden an den systematischen millionenfachen Mord an europäischen Juden durch den Nationalsozialismus.

Die jüdische Familie Fraymund emigrierte mit ihren Kindern 1938 aus Deutschland. „Leider in die falsche Richtung, nach Holland und Belgien“, hat Gremmes über das Schicksal der Familie herausgefunden. „Doch die Nazis holten sie ein.“ Als die Deutschen ihren Krieg im West führten, eroberten sie auch Holland und Belgien. Auch dort setzten sie ihren Vernichtungsfeldzug gegen Juden gnadenlos fort.

Gremmes hält ein stark gepixeltes Bild hoch. Es ist ein Ausschnitt aus einem Klassenfoto einer Burger Schulklasse aus den 1930er Jahren. Es zeigt ein junges Mädchen, Salli Fraymund, geboren 1930. Sie starb wie ihre dreijährige Schwester Rahel im Gas. 1942 wurden sie mit ihren Eltern Abraham und Mira deportiert und ermordet.

„Ich fühle tiefe Betroffenheit“, ist Walter Bliß nachdenklich. An jedem Stolperstein-Standort hat der Burger vom Jahrgang 1936 eine Rose abgelegt. „Es ist nicht irgendwo passiert, sondern hier. Und es zeigt, wie schnell eine vermeintlich friedliche Stimmung umschlagen kann. Die Menschen in der Straße und der Stadt haben doch früher hier friedlich zusammengelebt.“ Walter Bliß sagt mit Blick auf heute: „Antisemitismus hat seitdem im Verborgenen immer weiter gelebt. Wir können das Geschehene nicht rückgängig machen. Aber wir können dafür sorgen, dass es sich nicht wiederholt.“

Sagt es und geht weiter –zum nächsten Haus, wo Stolpersteine erinnern. Sechs solcher Erinnerungsplätze gibt es in Burg bisher: in der Gartenstraße, Franzosenstraße, Brückenstraße, Bergstraße, am Breiten Weg und am Markt.

Hier am Endpunkt des Spaziergangs wurde im Mai 2017 der bislang letzte Stolperstein verlegt. Es ist der 13. Er erinnert an die jüdische Apothekersfrau Marianne Heine. „Frau Heine gehörte zur Burger Gesellschaft. Geschützt hat sie das nicht“, sagt Pfarrer Gremmes. „Sie trug keinen Stern und dennoch wurde sie geholt. Sie wurde in einem Konzentrationslager ermordet. Wir wissen das, weil ihre zwei Söhne den Holocaust überlebt haben.“

Im November sollen wahrscheinlich zwei weitere Stolpersteine in Burg dazukommen. Das Burger Stolperstein-Projekt mit dem Kölner Künstler Gunter Demnig startete im März 2013. Getragen wird es vom Runden Tisch gegen Rechts.

In dieser Woche werden Gremmes und eine Gruppe Burger Bürger nach Israel reisen. Sie werden auch Yad Vashem besuchen, die große Gedenkstätte an den Holocaust und an jene, die sich um das Leben der Juden verdient gemacht haben.

„Wir werden der Burger Juden gedenken und wir werden Nachkommen von ihnen treffen“, berichtet Gremmes. Er hält engen Kontakt nach Israel, seit Jahren.

Am Sonnabend erinnert er an die Familie von Chaim Neumann. Der Burger Kaufmann wohnte in der Bruchstraße. Nur sein Sohn Bezael überlebte den Holocaust. „Bezael hatte schon ein eigenes Geschäft, es befand sich in der Zerbster Straße 9, die Ende vorigen Jahres abgerissen wurde.“ Bezael wanderte früh aus. Er starb 1962 im israelischen Haifa. Viel erfahren hat Gremmes von Bezaels Tochter. „Sie sagte mir, sie würde nie wieder deutschen Boden betreten.“

Mit 19 Jahren war Walter Bliß‘ Enkelin Paula am Sonnabend die Jüngste in der Gruppe der Spaziergänger entlang der Stolpersteine. „Ich kann es eigentlich nicht fassen, was damals hier passiert ist. Da sind junge Menschen ermordet worden, die waren so alt wie ich. Ich stelle mir vor, ich wäre damals geboren worden und an ihrer Stelle. Die hatten noch gar nicht gelebt, auch ich habe mein Leben noch vor mir“, sagt sie. „Es soll in 50 oder 100 Jahren nicht vergessen sein“, wünscht sie sich.