Volksstimme-Leser erinnern sich an die Hochwasserflut 2002 / Die Erinnerungen von Christina von Barnekow (Teil 2) In der Nacht, als bei Heyrothsberge das Siel brach
Burg/Genthin (am) l In einer kleinen Serie erinnert die Volksstimme an die Hochwasserflut 2002. Betroffene und Beteiligte von damals berichten, was und wie sie die Katastrophe erlebten. Christina von Barnekow, damals im Hochwasserkrisenstab der Gemeinde Gerwisch, hat Erinnerungen notiert. Heute Teil 2: der 20. und 21. August:
Montag ging ich erst spät ins Bett. Ich war gerade erst eingeschlafen, als mein Handy klingelte und ich zum Deichbruch nach Heyrothsberge gerufen wurde, um zu schauen mit welchem Gerät dort geholfen werden könnte. Im Nachthemd und Badelatschen fuhr ich - nein brauste ich los. An der B1 war der Teufel los. Lkw der Bundeswehr und des THW rollten alle Richtung Magdeburg. ...
Endlich vorgedrungen bot sich mir ein Bild, dass ich nie vergessen werde. Das Wasser gurgelte nur so und allen Leute ringsumher war der Schock deutlich ins Gesicht geschrieben - was würde nun im Umland geschehen? Ich setzte unseren Tieflader und einen Langarmbagger in Bewegung, und als dieser Richtung Heyrothsberge davon fuhr, hatte ich zum ersten Mal Angst: Hatte ich die richtige Entscheidung getroffen, was ist, wenn mein Bagger mit samt dem Deich einbricht, davongespült wird? Und mein Fahrer ... - ich durfte gar nicht weiter denken und telefonierte mehrmals mit ihm - er solle sehr vorsichtig sein, nicht zu waghalsig werden.
Dann fuhr ich in unser Büro, in dem die Deichwache Quartier bezogen hatte, da ging die Sirene - es wurde urplötzlich hektisch in Gerwisch, die Leute gingen auf die Straße, das Telefon ging unterunterbrochen, die Leute wussten nicht recht, was sie nun machen sollten, was bedeutete das Sirenensignal? Autos fuhren auf den Hof, die Leute waren zum Teil mit den Nerven runter und suchten Rat - ist nun zu evakuieren oder nicht?
Ich erklärte allen, dass das Signal nur bedeutet, man solle das Radio anschalten und auf weitere Durchsagen achten und dass in Gerwisch noch keine unmittelbare Gefahr herrscht - unsere Deiche sind weiterhin alle in Ordnung.
... Ich hatte gerade einen starken Kaffee angesetzt, da fuhr die Polizei durch die Straßen und rief die Evakuierung aus. Mein Mann ging zum Deich Richtung Domblick und ich zum Büro. Es war menschenleer. Keine Feuerwehr - keine Deichwache, alle waren weg. Also blieb ich im Büro und hielt Wache am Telefon.
Gegen morgen kamen die ersten zurück und wollten helfen und ich schnappte mir einen unserer großen Lkw und fing an Sandsäcke nach Königsborn und Menz zu fahren.
Lkw fahrend bediente ich dann Anrufe unserer Firma und des Krisenstab betreffend, ich war ja für die Koordination der Fahrzeuge und Bautechnik rings um Gerwisch zuständig. Zum Teil mit Polizeibegleitung wurden die Fahrzeuge zum Entladeort in die Krisengebiete geleitet. Die Menschen waren verzweifelt damit beschäftigt, Deiche zu errichten, denn das Wasser kam schnell. An dieser Stelle möchte ich einmal ein großes Lob an unsere Gerwischer richten, denn nirgendwo wurde mein Lkw so schnell mit Sandsäcken beladen wie hier bei uns.
Am Nachmittag war es dann unglaublich: Im Gebiet von Wahlitz bis nach Königsborn waren Fahrzeuge mit Sandsäcken aus ganz Deutschland eingetroffen - große Lkw und kleine Busse, Pkw mit Anhänger - einfach alles wurde zum Transport benutzt. Alle wollten helfen.
Frauen gingen mit Obst und kleinen Fresspaketen an die Fahrzeuge und verteilten was sie hatten an die Fahrer. Sämtliche Rundfunk- und Fernsehsender waren natürlich auch schon da und berichteten. Manch Sendewagen versperrte aber auch die Weiterfahrt.
Mir kamen meine eigenen Firmenfahrzeuge entgegen mit Fahrern am Steuer, die ich gar nicht kannte, die Leute wollten mithelfen und hatten meinen Mann gefragt, ob sie nicht ein Transportfahrzeug haben könnten. Es war einfach unbeschreiblich.
(Lesen Sie morgen weiter)