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Mülldebatte Keine Querfinanzierung der Gebühren

Steffen Burchhardt, Landrat des Jerichower Landes, spricht über die neuen Müllgebühren, die ab März 2017 gelten.

Von Falk Heidel 08.11.2016, 07:00

Herr Burchhardt, vor einem Jahr prognostizierten Fachleute sinkende Gesamtkosten in Höhe von zwei Millionen Euro. Jetzt liegt die errechnete Summe bei 9,4 Millionen, also unverändert. Wo ist das Geld geblieben?

Steffen Burchhardt: In der angesprochenen Prognose wurde der langfristige Mengeneffekt der Einführung eines Identsystems für Rest- und Bioabfallgefäße, als auch einer Grünschnittgebühr dargestellt. Die Erfahrung der Systemeinführung in anderen Landkreisen hat gezeigt, dass es zwei bis drei Jahre dauert, ehe das Restmüllaufkommen deutlich sinkt. Die Prognose basierte auf den aktuellen Preisen. Da der Vertrag mit der AJL ausgelaufen ist und die Leistung neu ausgeschrieben werden musste, sind nunmehr gestiegene Preise als Ausschreibungsergebnis zu berücksichtigen.

Im Klartext haben die Experten in das Konzept eine höhere Restmüllmenge (190 Kilo pro Kopf und Jahr) eingerechnet, als tatsächlich erwartet wird. Aus Sicht des Verbrauchers werden die Kosten damit künstlich hochgerechnet. Ist das aus Ihrer Sicht vertretbar?

Der Systemwechsel ist natürlich mit Unwägbarkeiten in Bezug auf die Mengenprognose verbunden. Die vom Planungsbüro angenommenen Werte sind tatsächlich eher vorsichtig, bieten dadurch aber ein geringes Planungsrisiko. Soweit die angeschlossenen Haushalte zeitnah auf Vermeidungs- und Trennanreiz reagieren, könnte das Pro-Kopf-Aufkommen den Wert von 190 Kilo pro Einwohner auch unterschreiten. Welche Restmüllmenge als Basis der Gebührenberechnungen angesetzt wird, ist noch nicht entschieden. Es ist und bleibt aber ein Planwert, sollte tatsächlich weniger Restmüll zu entsorgen sein, wäre Geld für das kommende Jahr über.

Werden mit einer Erhöhung der Gebühren andere Löcher im Kreishaushalt gestopft?

Die durch die Abfallentsorgung entstehenden Kosten müssen entsprechend rechtlicher Vorgaben durch Gebühren refinanziert werden. Ein Zusammenhang zum sonstigen Haushalt besteht nicht. Eine andere Verwendung der Gebühren ist unzulässig. Die Gebühren werden nur für die Müllentsorgung verwendet.

Das Abfallkonzept enthält knapp eine Million Euro Verwaltungskosten. Ist dies realistisch? Aus welchen Positionen setzt sich diese Summe zusammen?

In der Abfallbehörde sind Verwaltungskosten in Höhe von 750 000 Euro in den vergangenen Jahren entstanden. Dort sind Tausende von Bescheiden zu erstellen, Widersprüche zu bearbeiten, die Beitreibung der Gebühren vorzunehmen, die Leistungen der Auftragnehmer zu überwachen, die Probleme der Bürger zu bearbeiten und so weiter. Dieser Aufwand ist sachgerecht und im Durchschnitt anderer Landkreise eher gering. Das Identsystem wird den Verwaltungsaufwand geringfügig erhöhen. Die genaue Höhe kann derzeit noch nicht beziffert werden, da die entsprechende Abfallgebührensatzung gegenwärtig erst erarbeitet wird. Dieser wird aber voraussichtlich nicht im Millionenbereich liegen.

Warum wechselt der Landkreis mitten im Umstellungsprozess die Gutachter-Firma?

Seitens des Landkreises wurde eine fachkundige Anwaltskanzlei in die Bewertung der verschiedenen Abfallsysteme einbezogen. Diese Aufgabe war mit der Entscheidung „Kreistagsbeschluss zum Eckpunktepapier“ für das jetzt einzuführende ID-System beendet. Für die Ausschreibung „Umsetzung und Satzungserarbeitung“ wurde ein dafür spezialisiertes Ingenieurbüro gebunden, das dem Landkreis die entsprechende Unterstützung gewährt. Dabei wurde wie immer auf die Wirtschaftlichkeit des Anbieters geachtet.

Wozu braucht der Landkreis überhaupt einen externen Berater? Im Groben wird doch ein Konzept aus Bayern übernommen. Hätte der Fachbereich der Verwaltung nicht die nötigen Anpassungen selbst vornehmen können?

Für diese speziellen, umfangreichen und fachbezogenen Leistungen hält der Landkreis kein ausreichendes Personal vor. Die uns vorgegebenen rechtlichen Rahmenbedingungen sind derart komplex, dass der Prozess extern begleitet werden muss. Im Übrigen holt sich die Kreisverwaltung für unterschiedliche Aufgaben externe Dienstleister, da es deutlich teurer wäre, alle Kompetenzen dauerhaft vorzuhalten.

Kann ich meine Biotonne auch abbestellen?

Soweit ein Nachweis mit schriftlicher Erklärung und Bild vorliegt, dass eine Eigenkompostierung auf dem eigenen Grundstück durchgeführt wird, kann die Befreiung von der Andienungspflicht für Bioabfälle beantragt werden. Die Kompostierung wird von der Verwaltung überprüft.

Warum die Entscheidung für ein neues System?

Das Müllaufkommen im Jerichower Land ist aktuell höher als in den meisten anderen Landkreisen in Sachsen-Anhalt. Außerdem befindet sich ein großer Anteil an organischem Material und Verpackungsmüll im Restmüll. Ein entscheidender Grund dafür ist unser veraltetes Abfallgebührensystem. Dieses bietet keinerlei Anreize, Müll zu vermeiden beziehungsweise den Abfall sorgfältiger zu trennen. Gerade der Restmüll ist für uns Bürger am Ende am teuersten in der Entsorgung. Das neue ID-System orientiert sich stärker am Verursacherprinzip. Hier werden diejenigen stärker belastet, die mehr Müll produzieren und die Entsorgerleistungen stärker in Anspruch nehmen. Die Gebühren werden damit gerechter verteilt.

Durch die Einführung von Leerungsgebühren wird ein starker Anreiz zur Abfalltrennung und Abfallvermeidung gesetzt. Dies soll mittel- und langfristig zu einer Verschiebung der Stoffströme und einer Reduzierung des Abfallaufkommens insgesamt führen. Das ID-System hat sich bereits deutschlandweit etabliert und überall zu Verbesserung in den Müllbilanzen geführt. Die Prognosen für das Jerichower Land fußen auf jahrelangen Erfahrung. Mit Ausnahme der Umstellungskosten von 670 000 Euro erzeugt das System nur geringe Mehrkosten. Demgegenüber steht ein Kosteneinsparungspotenzial durch Vermeidung und sorgsamere Trennung, denn am teuersten ist die Entsorgung von Restmüll. Diese Ersparnisse werden sich langfristig auf die Gebühren niederschlagen. Ziel ist es also, mit dem neuen ID-System sowohl den Geldbeutel der Gebührenzahler zu entlasten und die Kosten gerechter zu verteilen, als auch einen angemessenen Beitrag zum Umweltschutz zu leisten. Die Einwohner in unserem Landkreis können sich sicher sein, dass die Verwaltung und der Kreistag die Vor- und Nachteile des ID-Systems sorgfältig abgewogen haben.