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Müllsammeln Leisten Sie Sozialstunden?

Warum Wolfgang Giebe aus Detershagen über diese Frage schmunzelt. Mit Müll-Kralle ausgerüstet entgeht ihm kein Unrat.

Von Mario Kraus 08.01.2020, 00:01

Detershagen l Zeit zum Aufbrechen. Ein schöner Wintertag liegt über dem Land. Wolfgang Giebe packt alles zusammen für sein tägliches Sportprogramm, das in dieser Form wohl einmalig ist im Jerichower Land. In Mantel und dicker Wollmütze eingepackt, steht der Detershagener vor seinem schicken Fachwerkhaus. „Heute geht’s in Richtung Bundesstraße, da war ich schon ein paar Tage nicht.“

Die Wanderung beginnt. Wolfgang Giebe, der pensionierte Rechtsmediziner, ist gut zu Fuß. Schon vom Wohnort bis zum Beginn der B1-Zufahrt sind es einige hundert Meter, die zügig zurückgelegt werden. Und dann, kurz hinter dem Ortseingangsschild, tritt der 73-Jährige erst richtig in Aktion. Denn sein Blick ist geschärft für jede Art von Unrat im Straßengraben – Papierschnipsel, Stofftaschentücher, Trinkbecher, Zigarettenschachteln, -kippen oder Essenbehälter. Nichts entgeht seinen Augen. Laufen und Aufsammeln gehen förmlich ineinander über. Das auch noch in einem ordentlich frischen Tempo. Im Handumdrehen ist ein erster Teil des Straßengrabens sauber. Giebe wirkt zufrieden, der Beutel füllt sich minütlich. „Was manche Leute so alles jeden Tag wegschmeißen, kann ich nicht nachvollziehen“, sagt er nachdenklich, während die Zangen der Kralle den nächsten Papierschnipsel erwischt haben. „Auch der ist schnell entsorgt.“

Giebe genießt den ungewöhnlichen Ausflug. Die Sonne könnte nicht kräftiger scheinen, einige Autofahrer grüßen freundlich – und zollen dem „Saubermann“ wohl auf diese Weise ihren Respekt. Giebe grüßt zurück. Man kennt sich. Mindestens seit fünf Jahren. So lange schon ist er für seine gute Tat im Ort bekannt und will sich eigentlich dafür gar nicht in den Mittelpunkt stellen (lassen). „Ich mache es eben gern“, sagt er kurz und knapp. „Der Ausgangspunkt war aber der, etwas mehr für die Gesundheit zu tun.“ Wie wichtig das im Alter ist, weiß der Arzt am besten. „Also habe ich mir zum Ziel gesetzt, pro Tag so um die 10 000 Schritt zu laufen. Das tut mir gut.“ Kurzerhand entschloss er sich, das eine Gute mit dem anderen Nützlichen für das Dorf zu verbinden. So geht er mal Richtung Schermen, mal nach Niegripp oder eben zu Bundesstraße oder Friedhof. Und da die Giebes keine Ur-Detershagener sind, sondern das Dorf erst 2016 nach einem 15-jährigen beruflichen Aufenthalt in Schweden für sich entdeckt haben, hat so mancher Einwohner zuerst komisch geschaut. Wolfgang Giebe muss jetzt lachen: „Eine Frau hatte mich mal verdutzt angesprochen und gefragt, ob ich verurteilt worden bin und eine Art von Sozialstunden leisten muss.“

So wird er heute natürlich nicht mehr angesprochen. Er und seine Frau sind fest verankert im Dorf, auch das Miteinander in der Volkssolidarität gefällt beiden. „Ein schöner und ruhiger Ort ist das hier, und am großen Grundstück gibt es auch immer was zu tun.“

Mittlerweile sind beide Gräben der Zufahrtsstraße nahezu sauber. Wolfgang Giebe ist sich sicher, noch auf die Überreste eines alten Unbekannten zu stoßen. „Mal sehen, ob wir noch eine leere Rumflasche finden.“ Kaum war der Satz ausgesprochen, lugt sie hinter einem Grasknäuel hervor. Irgendjemand muss jeden Tag eine Flasche weißen Rum trinken. „Wer weiß, wie lange der Körper desjenigen die Tortur noch mitmacht“, scherzt Wolfgang Giebe, der an der Beeke ein Resümee seines Spazierganges zieht. Der Beutel mit Unrat ist halb voll. „Das ist keine Seltenheit, sondern durchaus normal“, versichert der Detershagener.

Richtig aufregen kann er sich, wenn manche Zeitgenossen ihren ganzen Sperrmüll am Waldrand wild entsorgen, zumal jeder sein Altzeug kostenfrei abgeben könne. „Dafür habe ich kein Verständnis.“