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Notaufnahme „Gehen nicht in den Zweikampf“

Die Burger Klinik will den Patientenstrom in der Notaufnahme in bessere Bahnen lenken. Doch auch das neue System hat Grenzen.

Von Marco Hertzfeld 04.08.2018, 08:00

Burg l Ein 36-Jähriger betritt gegen 23 Uhr die Notaufnahme und will sich behandeln lassen. Er ist betrunken und verhält sich gegenüber den Mitarbeitern aggressiv. Einem Arzt droht er sogar Schläge an, weshalb dieser flüchtet. Der Kollege habe genau richtig gehandelt, findet Dr. Martin Lehmann, Ärztlicher Direktor der Helios-Klinik in Burg. „Der Selbstschutz steht im Vordergrund. Wenn jemand randalieren will, rufen wir umgehend die Polizei und gehen nicht noch in den Zweikampf.“ In diesem Fall zog der Störenfried nach Eintreffen der Beamten ab, seine Verletzung war offenbar nicht so gravierend. „Bei der Arbeit angegangen und ernsthaft verletzt wurde bislang noch niemand von uns“, sagt der Chefarzt für Allgemein- und Viszeralchirurgie.

In der Erste-Hilfe-Station des Krankenhauses werden pro Tag ungefähr 40 Patienten behandelt, im Jahr sind es 15.000. Die Wenigsten sind auf Krawall aus. „In solchen Fällen ist oftmals Alkohol im Spiel und dann sind schon Blutdruckmessen und Blutabnahme eine Herausforderung“, weiß Manuela Kutnick, die Ärztliche Leiterin der Notaufnahme. Schwestern und Ärzte hätten natürlich eine gewisse Routine entwickelt. „Wir reden mit Engelszunge und versuchen zu deeskalieren. Im Zweifelsfall hilft in der Tat nur die Polizei.“ Dauergast seien die Uniformierten nicht, ihre Einsätze ließen sich an einer Hand abzählen. Eine Garantie, dass nicht doch irgendwann einmal ein Streit aus dem Ruder läuft, gebe es natürlich nicht.

Von Schutzglas im Eingangsbereich und Sicherheitszonen hält Dr. Lehmann nicht viel, auch weil sich ein Krankenhaus damit schnell einmal in einer rechtlichen Grauzone bewegen könne. „Wir sollten auch die Kirche im Dorf lassen. Es geht um die medizinische Versorgung der Menschen in dieser Region.“ Das Jerichower Land falle nicht groß aus dem Rahmen und weise keine sonderlichen sozialen Brennpunkte auf. Der aktuelle Fall habe alle noch einmal sensibilisiert. Ein nächstes Deeskalationsseminar hat bereits vorher im Kalender gestanden. Ansonsten herrsche auch in Burg der ganz normale Wahnsinn einer Notaufnahme. Und so mancher Patient wäre wahrscheinlich bei seinem Hausarzt besser aufgehoben.

„Immer mehr Menschen lassen sich in einer Notaufnahme behandeln.“ Das Manchester-Triage-System (MTS) soll alles in bessere Bahnen lenken. Schwerverletzte und medizinische Notfälle müssen sofort behandelt werden. Der Rest hat zu warten, mitunter bis zu zwei Stunden und länger. „Das System kategorisiert Patienten in fünf Farben von Rot für akut und sofort bis Blau für wirklich sehr, sehr leichte Fälle“, erläutert Kliniksprecherin Caterin Schmidt. Schwestern und Ärzte arbeiten seit wenigen Tagen nach dem MTS. Computer, Software und Schulungen kosten die Burger einen fünfstelligen Euro-Betrag. So gut wie jedes vierte Krankenhaus in Deutschland setzt inzwischen das MTS in seiner Notaufnahme ein.

Das neue System sei wichtig, weil kein Patient weggeschickt werden soll. „Es hilft zu unterscheiden, einzuordnen und sorgt für medizinische Sicherheit. Nicht wer am lautesten ist, kommt am schnellsten dran, sondern wer die meiste Hilfe braucht“, bringt es Notfallärztin Kutnick gegenüber der Volksstimme auf den Punkt. Eine Triage-Schwester übernimmt die Ersteinschätzung des Patienten nach einem festen Schema, stellt Fragen und ordnet nach Kriterien wie Lebensgefahr, Schmerzen, Blutverlust, Bewusstsein, Temperatur und Krankheitsdauer. Dr. Lehmann: „Besorgte Eltern dulden keine Wartezeit, selbst wenn das Kind nur Fieber hat, so ist das nun einmal. Doch selbst das fließt ins System ein.“

Dass eine Gebühr den Andrang auf die Notaufnahmen mindern könnte, wollen die Burger erst gar nicht ausprobiert sehen. „Das geht doch nur zulasten der Patienten, keine Behandlung sollte am Geldbeutel scheitern“, ist Schmidt überzeugt. Der Helios-Verbund lässt aktuell in Braunschweig eine ärztliche Bereitschaftspraxis, eine Art Portalpraxis in der Klinik, testen. Inwieweit das Ganze ein Erfolgsprojekt wird und auf andere Krankenhäuser übertragbar ist, muss sich zeigen. In der Klinik im Jerichower Land könnte das MTS noch durch die Vergabe von Nummern mit der Farbe der Dringlichkeit ergänzt werden. Monitore, auf denen die Reihenfolge für alle sichtbar wäre, sind nicht mehr erlaubt, des Datenschutzes wegen.

Ein Patient verdreht die Augen, wenn ein anderer vor ihm aufgerufen wird, der nächste drängelt und wird sogar laut. Stress entsteht und der eine oder andere Streit. Dr. Lehmann und Kollegen wollen davon weniger im Wartezimmer sitzen haben. Nothilfe-Chefin Kutnick eilt in ein anderes Zimmer, es ist nicht der erste Patient des Tages. Auch der Chefarzt wird gerufen, womöglich steht eine weitere Operation an. Auf der Autobahn 2 hat es am Morgen einen Unfall gegeben, der Verletzte ist mit dem Krankenwagen in die Klinik mit insgesamt mehr als 240 Betten und rund 340 Mitarbeitern gebracht worden. Schädel und Wirbelsäule des Mannes müssen weiter untersucht werden.