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Projekt Das Herz am rechten Fleck

Mit einem kleinen Projekt versucht eine Burger "Brustschwester", den Schmerz von an Brustkrebs erkrankten Frauen zu lindern.

Von Julia Braun 04.03.2018, 05:00

Burg l „Sie haben Brustkrebs.“ Dieser kurze Satz ist jährlich ein großer Schock für rund 2600 Frauen und 35 Männer – allein in Sachsen-Anhalt. Im gesamten Land belaufen sich die Neuerkrankungen jährlich auf 70.000 Fälle. Brustkrebs stellt somit die häufigste Erkrankung bei Frauen dar. Die Therapie-Option, die vornehmlich genutzt wird, ist die Brust-Operation. Allerdings hat das neben anderen Leiden auch große Schmerzen in den Achselhöhlen zur Folge.

Dem kann aber entgegen gewirkt werden – und an dieser Stelle schreitet Grit Lüdke ein. Seit 2015 darf sich die ausgebildete Krankenschwester Breast Care Nurse, übersetzt „Brustschwester“, nennen. Am Magdeburger Klinikum ist sie Ansprechpartnerin für alle an Brustkrebs erkrankten Frauen. „Aber das wichtigste Instrument, das ich habe, sind meine Ohren“, sagt sie. „Ich nehme die Ängste und Sorgen der Frauen gerne auf und bin immer für sie da. Auch bei Fragen zu Nebenwirkungen und bei allgemeinen Fragen bin ich immer präsent.“

Aber: Grit Lüdke will noch mehr bewirken. Sie hat sich deshalb 2015 dazu entschlossen, an einem Projekt der Sachsen-Anhaltischen Krebsgesellschaft teilzunehmen. Es heißt „Kleines Herz mit großer Wirkung“. Der Name ist Programm: Kleine, handgenähte Herzen mit handbeschriebenen Mutmach-Sprüchen sollen wie eine liebevolle Umarmung für die Patientinnen sein, die sie von der Operation bis zur Chemotherapie begleiten. Doch nicht nur das. Durch die spezielle Form mit den langen „Ohren“ passen sie sich dem Körper an, wenn sie unter die Achselhöhle gelegt werden.

Durch die weiche Füllung, Polyester-Füllwolle, können die Druck- und Reibeschmerzen der betroffenen Frauen gelindert werden. Auch alltägliche Dinge, wie das Anschnallen im Auto oder das Liegen auf der Seite, wird erleichtert. Eine große Wirkung – körperlich wie emotional. Besonders angenehm: Die Herzen können bei 60 Grad gewaschen und somit auch später als Dekoration genutzt werden. „Die Patientinnen nehmen die Herzen gerne an, es gibt keine Berührungsängste“, sagt Lüdke. Das, was aber am meisten Trost spendet, seien aber die kleinen Sprüche, die die Näherin mit in die Verpackung legt. Es sind kurze Sätze mit geballter Kraft, teils nur zwei bis drei Wörter lang: „Du schaffst das!“ oder „Viel Kraft!“

Aber genau diese kurzen Botschaften geben den Betroffenen Frauen viel Stärke und auch ein Stück weit Stabilität. Zu wissen, dass da jemand ist, der an sie glaubt – das tut gut. Die Herzen sind wie ein Kuscheltier aus der Kindheit, sie begleiten die Frauen überall hin. Sogar nach ihrer Genesung: „Eine ehemalige Patientin hat sich das Herz sogar an die Wand gehängt, obwohl es ihr mittlerweile wieder gut geht“, erzählt Grit Lüdke. Das Wort „mittlerweile“ bedeutet bei Krebskranken fünf Jahre.

Denn erst nach dieser langen Zeit gilt der Krebs als besiegt. So lange müssen die Betroffenen auch zur Nachsorge gehen – und bangen. Das weiß Lüdke. Deshalb ist sie auch für die Frauen, deren Operation schon länger zurückliegt, da und fragt, wie es ihnen geht. Was sie tut, ist mehr als ein Beruf. Es ist ihre Berufung. Ob sie Privates und die Arbeit trennen kann? „Man sollte das“, sagt sie dazu. „Man darf die Arbeit nicht mit nach Hause nehmen. Aber das geht nicht immer. Vor allem wenn die Betroffenen in meinem Alter sind, geht mir das an die Nieren“, erzählt sie sichtlich gerührt. „Aber ich bekomme so viel zurück. Unendliche Dankbarkeit. Eine Patientin hat mir nach ihrer Genesung auch zwei Herzen zurückgegeben – ihres und ein selbst genähtes, um anderen die gleiche Hoffnung zu geben, die sie dadurch erhalten hat.“

Geld verdienet sie mit dem Projekt nicht – das alles findet ehrenamtlich statt. Und in gewisser Weise auch im eigenen Familienkreis. Grit Lüdke ist nämlich die Tante von Juliane Karbe. Sie wiederum leitet die Wohngruppe „Zillehaus“ auf Gut Lüben in Burg. Dabei handelt es sich um eine familienorientierte Kleinstwohngruppe, die sieben Plätze vergibt für Kinder im durchschnittlichen Alter von zehn bis 16 Jahren. Die verhaltensoriginellen Kinder und Jugendlichen erhalten selbst Spenden und werden gefördert. Jetzt wollen sie unbedingt auch etwas zurückgeben. Daher entschlossen sie sich, sich über Betreuerin Juliane Karbe am Projekt zu beteiligen. Mit großem Erfolg und viel Spaß: „Zur Herstellung eines kleinen Herzens brauchen wir etwa eine Viertel- bis halbe Stunde“, sagt die 16-jährige Evelin Kreibe, Bewohnerin des „Zillehauses“. Dafür hat sie extra Stoff aus der Schule mitgebracht.

Die Krebsgesellschaft organisiert zwar Nähgruppen, aber auch im kleinen Kreis der Wohngemeinschaft entstehen wunderschöne Herzen, die ihren Zweck erfüllen– stolze 60 an der Zahl. „Wir haben auch ganz kleine Herzen. Die sind für kleine Kinder, die das gleiche Herz wie ihre Mama haben wollen“, erzählt sie weiter. Sogar Schlüsselanhänger in Herzform nähen sie.

Die Mädels standen bereits im Dezember mit Betroffenen in Kontakt. Denn einmal im Monat veranstaltet Grit Lüdke das beliebte „Mammacafé“ im Klinikum Magdeburg, in dem Brustkrebspatientinnen sich austauschen können, aber auch Angehörige eingeladen sind. Hier waren die Jugendlichen vor Ort und konnten wertvolle Erfahrungen sammeln und gleichzeitig sehen, wie kraftgebend ihre selbst gemachten Herzen sind. Außerdem: Eine gemeinschaftliche Aktion wie diese schafft auch noch mehr Nähe zueinander. Selbst wenn diese ohnehin vorhanden ist: „Wir halten hier zusammen“, sagt Evelin. „Wir sind wie eine kleine Familie.“ Eine kleine Familie, die viel Freude daran hat, anderen Menschen Kraft zu schenken.

„Ich erinnere mich auch sehr gerne an ein Zitat von Steve Jobs“, sagt Grit Lüdke. „Es lautet: Der einzige Weg, großartige Arbeit zu leisten, ist das zu lieben, was man tut.“ Und das tut sie, genau wie ihre Nichte Juliane Karbe. Die beiden Frauen und die Jugendlichen haben sprichwörtlich ihr Herz verloren – und bewirken damit viel Gutes.