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Flüchtlinge Zwischen Ankommen und Abschiebung

Ehrenamtliche des Projekts "Patent" helfen geflüchteten Familien in Burg. Die Volksstimme hat Patin Helene (*Name geändert) begleitet.

Von Susanne Klose 09.10.2018, 01:01

Burg l „So, und jetzt möchte ich gerne das Hausaufgabenheft haben.“ Helene sitzt am Tisch vor dem Fenster. Die blauen Gardinen wehen sachte im Wind. Neben ihr kramt Harsh sein Heft hervor. „Welches Datum haben wir heute?“, fragt sie den fröhlichen Jungen.

Es ist der 17. September. Um die beiden herum läuft Pranvi, ganz aufgeregt, mit verzausten Haaren und kreischendem Lachen. Manchmal bringt Helene die kleine Pranvi morgens in den Kindergarten, wenn Nitin auf der Arbeit die Frühschicht hat und seine Frau Renuka sich um den wenige Monate alten Het kümmert. Aber das ist erst einmal vorbei. Nitin darf nicht mehr arbeiten.

Es ist der 17. September und sein Arbeitsvisum ist seit sieben Tagen abgelaufen. Nitin heißt auch nicht Nitin, genausowenig wie die anderen Protagonisten. Sie alle möchten anonym bleiben, auch aus Angst vor der drohenden Abschiebung zurück nach Indien.

Dort traf 2006 bei der Hochzeit eines Freundes Nitin auf Renuka. Es war eine unmögliche Liebe auf den ersten Blick – ihre unterschiedlichen Kasten erlaubten keine Hochzeit. Deshalb flohen die jungen Leute in eine andere Stadt, heirateten 2009 dort und nahmen im September 2015 den Flieger nach Deutschland, im Gepäck ein Arbeitsvisum. Nach wenigen Tagen in Halberstadt zog das Ehepaar mit den drei Kindern nach Burg - und blieb. Auch jetzt, nach Ablauf des Visums.

„Inder sind keine ‚wirklichen‘ Flüchtlinge“, erklärt Helene die schwierige Lage. Es gebe mehrere Möglichkeiten, damit Nitin bleiben könne, zumindest für die nächste Zeit. Vielleicht ein neues Visum, eine vorläufige Ausreise – Helene hat sich überall erkundigt, aber die rechtliche Lage sei sehr kompliziert. Asyl beantragen ist in Nitins Fall kaum möglich, bei einer Rückkehr drohen ihm aus Sicht der Behörden weder politische Verfolgung, noch Festnahme oder Folter.

„Wir möchten auf jeden Fall in Deutschland bleiben“, erklärt Nitin, „wir wollen arbeiten und unabhängig sein.“ Und zusammen sein. In Indien wäre das aufgrund der unterschiedlichen Kasten nicht möglich, unter Umständen lebensbedrohlich. Es gab heftigen Streit innerhalb der Familien, deutet Nitin an. Kontakt gebe es kaum. „Nur ein paar Emails mit meinem Bruder“, erzählt er, den kleinen Het auf dem Arm. Er guckt immer wieder zu Helene.

Seit zwei Jahren unterstützt die Burgerin die Familie drei bis vier Mal pro Woche. Sie ist Patin im Projekt „Patent“, das geflüchtete Familien unterstützt. Die drohende Abschiebung belastet nicht nur die Familie. „Es geht wirklich ins Emotionale. Früher dachte ich einfach nur, dass das eine gute Sache ist.“

Aber die Sache ist eben keine Sache, sondern eine Familie mit drei Kindern. Immer öfter kreisten ihre Gedanken auch nach „Feierabend“ um „ihre“ Familie“, erzählt die engagierte Frau. Manchmal treffen sich die rund zehn Ehrenamtlichen im Projekt zum Austausch, oft teilen sie die gleichen Sorgen. „Aber wir machen das alle nebenbei, da hat man auch einfach nicht immer die Zeit für große Treffen“, erklärt Helene.

Mittlerweile gehe ihr die Situation „ganz schön an die Substanz“. Das liegt aber nicht nur an der schwierigen Situation der Familie. Auch Helene möchte anonym bleiben, wegen Chemnitz, wegen Köthen, wegen den Grillabenden, den Stammtischen und ihren Parolen.

„Alles, was mit Ausländern zu tun hat, ist oft negativ. Dann heißt es ‚die sollen raus, die sollen nicht unseren Sozialstaat zersetzen‘, das kommt auch manchmal aus Kreisen, bei denen man das jetzt nicht unbedingt denken würde.“

Trotzdem überwiegten die positiven Resonanzen, betont die Burgerin. „Mit dem ‚bisschen‘, das ich mache, kann ich richtig viel erreichen“, freut sich die Patin ganz bescheiden. Ihr Engagement macht Behörden, Schulen und KiTas die Arbeit leichter. „Ich übernehme die Kleinigkeiten im Alltag, wie Essenspläne ausfüllen.“ Auch im Freundeskreis zeigten sich viele offen für ihr Ehrenamt. „Manche fragen mich auch, wie es denn meiner Familie geht“, sagt die Burgerin.

Auch, wie es denn jetzt weitergeht. Der Status Nitins ist ungewiss, die Abschiebung möglich. Alles befindet sich derzeit in der Schwebe, Helenes Willen zum Engagement indes nicht. Sie hält fest, an ihrer Patenschaft, an ihrem Glauben. „Selbst wenn sie zurück müssen, soll es hier etwas Gutes gegeben haben, es soll nette Menschen ge- geben haben. Auch wenn sie gehen.“