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Selbsthilfe Jemand da, wenn es mal knallt

Daniel Laqua war selbst alkoholabhängig. 17 Jahre lang. Jetzt leitet er eine Selbsthilfegruppe in der JVA Burg.

Von Franziska Ellrich 23.09.2016, 01:01

Burg l Es beginnt mit einem Brief, den Gefangene der Burger Justizvollzugsanstalt schreiben. Suchtkranke Insassen bitten um eine Selbsthilfegruppe. Der Burger Arbeitskreis ‚Resozialisierung und Kriminalprävention‘ handelt schnell. Und seit gut zwei Jahren gibt es jetzt solch Angebot im Gefängnis. Ohne dass Justizbeamte mit im Raum sitzen, ohne die üblichen Helfer aus dem Haftalltag und ohne dass Laqua irgendwem gegenüber Rechenschaft ablegen muss.

Jeder könne bei den Treffen frei erzählen, Stress abbauen, sagt Daniel Laqua. „Was läuft schief, worüber hat man sich geärgert?“ Wenn Laqua über seine Selbsthilfegruppe spricht, fallen die Worte: Abwechslung, Vertrauen, Wegbegleiter. „Es ist wie eine Familie.“ Doch wie sieht Selbsthilfe eigentlich aus? Alle, die dabei sind, haben eine Gemeinsamkeit – sie kämpfen gegen die Sucht an. Egal ob Alkohol, Betäubungsmittel, Computerspiele oder Sex. „Sucht geht durch alle Schichten, es sind Betroffene aus unserer Mitte.“ Die Mitglieder feiern gemeinsam Geburtstage und Weihnachten, sind zusammen unterwegs, „sehen mal was anderes“, sagt Laqua.

Zumindest die Betroffenen der Selbsthilfegruppe, die sich alle 14 Tage im Gemeindehaus in der Burger Innenstadt treffen. Da können nur die Häftlinge dabei sein, die die JVA verlassen dürfen. Justizbeamte bleiben mit im Raum. Es gibt einen festen Stamm von sechs Betroffenen – darunter nicht nur Gefangene. Im Wechsel wird sich dann in der JVA in Madel getroffen. „Schon allein der Termin ist Abwechslung für die Insassen.“

Laqua selbst ist für die Suchtkrankenhilfe Blaues Kreuz als Gruppenleiter im Einsatz. Er arbeitet eng zusammen mit der Diakonie, der Justizvollzugsanstalt, dem Projekt ‚Zebra‘ sowie dem Wohlfahrtsverband ‚Der Paritätische‘. Dort ist Jan Eiglmeier Suchtberater. Das sagt er zum Thema Selbsthilfegruppe: Tatsächlich Betroffene kommen zusammen, schöpfen dadurch Kraft und geben sich gegenseitig Tipps. Niemand „von außen“ mischt sich ein. „Es werden längst nicht nur Probleme gewälzt, sondern es wird vor allem auch viel miteinander gelacht.“

Und ganz wichtig: „Wenn es mal knallt, ist immer ein Ansprechpartner zu erreichen – für diese Kontakte gibt es keine Öffnungszeiten.“ Wenn es mal knallt – was bedeutet das? Eiglmeier benutzt das Wort Rückfall, Laqua das Wort Vorfall. „Wenn zum Beispiel die Gefahr besteht, dass man zur Flasche greift“, erklärt Daniel Laqua. Und weiß dabei genau, wovon er spricht. Daniel Laqua war selbst jahrelang alkoholabhängig. Angefangen hat er mit 12 Jahren. „Die falschen Freunde.“ Seinen letzten Schluck Alkohol trank er mit 29. Es folgten Entgiftung, Reha und betreutes Wohnen. Das ist jetzt zehn Jahre her. Dann der totale Neuanfang – weg aus dem alten Umfeld, hin zur Ausbildung als Gesundheits- und Krankenpfleger.

„Man muss sich auf das System einlassen“, sagt Laqua. Und das Suchthilfesystem in Deutschland sei gut, spricht Suchtberater Eiglmeier aus Erfahrung. „Wir können allerdings nur die Begleiter sein.“ Und dann kommt die Frage, was jeder daraus mache. „Ich kann immer entscheiden, gehe ich nach links oder nach rechts“, so Eiglmeier. Gerade im Fall der Straffälligen müssten auf dem Weg zurück ins normale Leben manchmal große Hürden genommen werden. Eiglmeier wirft eine für die Häftlinge oft alltägliche Frage auf: Wie soll jemand, der im Zuge von Straftaten immer tausende Euro zur Verfügung hatte, plötzlich mit Hartz IV auskommen?

Die eigene Erfahrung mit der Sucht war Antrieb für Daniel Laqua, eine Selbsthilfegruppe zu leiten – in der auch Straftäter willkommen sind. „Alle haben ihre Biografie.“ Oftmals seien die Häftlinge erstmal argwöhnisch, Laqua muss sich das Vertrauensverhältnis erarbeiten. Schritt für Schritt. Angst hat Laqua vor der Arbeit mit Straftätern keine. Nur Respekt. „Man muss das Private ein Stück weit abtrennen“, spricht Suchtberater Eiglmeier aus seiner beruflichen Erfahrung.

Bei Daniel Laqua ist sogar die eigene Ehefrau bei den Treffen der Selbsthilfegruppe immer mit dabei. Auch sie engagiert sich beim Blauen Kreuz. Laqua habe durchaus auch mit einzelnen Betroffenen auf der privaten Ebene zu tun. „Ich bin dort sehr autenthisch.“

Im Fall der Häftlinge besonders wichtig: Sie haben direkt einen Kontakt draußen. Denn sobald die Gefangenen entlassen werden, fallen die Ansprechpartner aus der JVA weg. Doch Daniel Laqua bleibt.

Er steht sogar noch mit ehemaligen Mitgliedern der Selbsthilfegruppe, die nicht mehr vor Ort sind, per Internet in Verbindung. „Für die drinnen ist es schwer abzusehen, wie es draußen weiter geht“, erklärt der Gruppenleiter. In der JVA können viele einem Job nachgehen, nach der Entlassung ständen sie plötzlich vor dem Nichts. Es fehle an Arbeitgebern und Nachbarn, die Straffälligen eine Chance geben. „Es bräuchte viel mehr engagierte Leute in dem Bereich“, sagt Laqua. Für ihn selbst waren nach der Sucht auch die neuen Kontakte entscheidend. „Heute gehe ich mit Freunden einen Kaffee trinken, kein Bier.“

Wer mehr zu dem Thema wissen oder bei der Selbsthilfegruppe dabei sein will, erreicht Daniel Laqua unter Telefon 03921/41 96 93 oder Jan Eiglmeier unter der Nummer 03921/453 25.