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Therapiepferde Das Glück der Erde im Doppelpack

Das Kinderheim Lüttgenziatz hat dank Spenden der Volksstimme-Leser zwei neue Therapiepferde bekommen.

Von Stephen Zechendorf 08.11.2020, 00:01

Lüttgenziatz l Kaum nähern sich Philipp (12) und Niclas (11) dem Pferdegatter neben dem ehemaligen Gutshaus, da kommen „Foxi“ und „Opossum“ auch schon interessiert an den Zaun angetrabt. Man merkt sofort: Alle freuen sich aufeinander. Philipp und Niclas sind Bewohner des heilpädagogisch-therapeutischen Kinder- und Jugendhauses Lüttgenziatz. Und das sind „Foxi“ und „Opossum“ seit gut einer Woche auch. Sie sind die zwei neuen Therapiepferde, die das Albert-Schweitzer-Familienhilfswerk mit Hilfe von Spenden anschaffen konnte.

Vor einem Jahr hatten die Volksstimme und der „Paritätische“ die Spendenaktion „Brücken bauen“ gestartet, bei der landesweit Projekte gefördert wurden, die Kindern, Jugendlichen sowie Erwachsenen mit Beeinträchtigungen oder in Krisen helfen. Die Projekte waren zumeist solche, die sonst eher weniger im Licht der Öffentlichkeit stehen. Insgesamt kamen über 34 500 Euro aus Leserspenden zusammen. Bei der Verteilung des Gelds wurden auch Leser-Wünsche zur Verwendung der Spenden einbezogen.

„Die Spendenbereitschaft der Volksstimme-Leser war überwältigend und so erhielten wir Anfang diesen Jahres die Summe von 8500 Euro für die Anschaffung eines neuen Therapiepferdes“, berichtet Kerstin Gläser, die Leiterin des Kinder- und Jugendheimes in Lüttgenziatz.

Dass gleich zwei Therapiepferde für die Kinder in Lüttgenziatz gekauft werden konnten, daran haben auch Schüler der Arbeitsgemeinschaft Courage im Gymnasium Gommern großen Anteil. „Die Courage AG des Gymnasiums in Gommern buk Plätzchen und verkaufte diese auf dem Weihnachtsmarkt in Leitzkau und erhöhte damit die Summe um weitere 600 Euro“, ist Kerstin Gläser dankbar.

Wie wichtig es werden sollte, dass die Therapiearbeit nun auf mehrere Pferderücken verteilt werden kann, stellte sich schon bald heraus: „Unser letztes Therapiepferd ´Truce´ erkrankte an schwerer Arthrose und wir mussten zusehen, wie sie unter den Schmerzen litt“, berichtet die Heimleiterin, die seit Jahren sehr gute Erfahrungen mit der Reittherapie machen durfte: „Bei 27 Kindern würden wir ein Pferd alleine überfordern, und Truce muss jetzt leider geschont werden.“

Allerdings wurde es unerwartet schwierig, ein neues Pferd zu finden. „Scheinbar kauften zu Zeiten von Corona viele Menschen, statt in den Urlaub zu fahren, ein Pferd. Der Markt schien leer und unsere Suche aussichtslos“, machte das Lüttgenziatzer Pädagogenteam die Erfahrung. Aber was lange währt, wird endlich gut. Am 31. Oktober konnten der neunjährige Wallach „Foxtrott“ – genannt Foxi – und der sechs Jahre alte Wallach Danny, genannt „Opossum“ in Lüttgenziatz einziehen. Sie stammen aus der Gegend von Leipzig, beide sind, wie auch „Truce“, ein Tinker-Mix, gehen bereits an der Longe und sind an die Arbeit mit Kindern gewöhnt, beschreibt Kerstin Gläser das Wesen der beiden Neuzugänge.

Am 5. November konnten die Pferde erstmals zu „Truce“ und dem Shetlandpony „Achat“ auf die gleiche Koppel. Die ersten Begegnungen der Vierbeiner auf der Koppel erschienen vielversprechend.

Als speziell ausgebildete Reittherapeuten stehen in Lüttgenziatz die Pädagoginnen Leslie Richter und Laura Birke bereit. Bei der Pferde- oder Reittherapie geht es nicht ums Reiten lernen, sondern um das vertrauensgeprägte Verhältnis zwischen Mensch und Tier (siehe Info-Kasten). Dabei spielen sogenannte „Spiegel-Neuronen“ eine bedeutende Rolle. Diese speziellen Nervenzellen im Gehirn sind bei Pferden besonders fein ausgeprägt. Sie versetzen die Tiere in die Lage, Empfindungen und Emotionen bei Menschen wahrzunehmen, zu spiegeln und so Empathie zu entwickeln.

Deshalb sind Truce“, „Foxi“ und „Opossum“ für die therapeutische Arbeit mit Kindern so wichtig. „Es sind ‚Türöffner‘ “, sagt Kerstin Gläser. Die Tiere sind für Kinder mit Traumatisierungen und Entwicklungsproblemen eine zentrale Säule der Therapie. Die Kinder fühlen sich von den Tieren verstanden und geborgen. Nicht selten gehen emotional aufgewühlte Kinder alleine zu „ihrem“ Pferd und berichten ihm von ihrem Kummer. Und das Pferd spürt die Emotionen, es scheint zuzuhören und zu trösten.

Aber auch die Pflege der Tiere und die anfallenden Stallarbeiten erfüllen eine wichtige Funktion bei dem Bemühen, die Kinder wieder an einen normalen Alltag zu gewöhnen. Die Kinder und Jugendlichen merken, dass sie gebraucht werden, ihre Mitarbeit einen Sinn hat.

Derzeit werden in dem Haupthaus im Kinder- und Jugendheim Lüttgenziatz 27 Kinder und Jugendliche betreut. In der Außengruppe in Möckern leben weitere zehn Jugendliche.