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Trend Immer mehr Gewalt gegen Polizisten

Die Hemmschwelle bei Gewalt gegen Polizisten sinkt immer weiter. Auch im Jerichower Land gibt es Widerstand gegen Beamte.

Von Sebastian Rose 22.07.2020, 06:00

Burg l „Jeden Tag werden in Deutschland durchschnittlich 200 Polizisten Opfer von Gewalt“, sagte Bundeskriminalamt-Präsident Holger Münch während der Vorstellung des Lageberichts für das Jahr 2019.

In Sachsen-Anhalt stiegen laut dem Jahresbericht der Zentralen Beschwerdestelle der Polizei die Beanstandungen von Beamten um rund 13,2 Prozent im Vergleich zu 2018. Insgesamt 807 Beschwerden mit 1193 Anliegen wurden bearbeitet. Wie sieht die Situation im Jerichower Land aus?

Auf die Frage, wie viele Fälle von Widerstandshandlungen es gegen die Polizei in den letzten drei Jahren im Landkreis gab, antwortet Joachim Albrecht von der zuständigen Polizeiinspektion Stendal per Mail mit einer Tabelle. Im vergangenen Jahr sind laut Albrecht 27 Fälle bekannt geworden. Das Thema scheint innerhalb der Exekutive mit besonderer Vorsicht behandelt zu werden. Auch nach mehrfacher Anfrage wollte kein Beamter, der Gewalt im Dienst erlebt hat, mit der Volksstimme sprechen. Möglicherweise aus Angst vor Konsequenzen auch im privaten Leben.

Erst in der vergangenen Woche erhielt die Burger Volksstimme die Mitteilung, dass ein Betrunkener in Burg Beamte angegriffen habe.

Der bereits im Vorfeld polizeibekannte Mann hatte die Ordnungshüter gerufen, um einen Diebstahl anzuzeigen. Als die Beamten in den Burger Marienweg kamen, stand dort laut der Polizei der 39-Jährige mit etwa zehn anderen Personen auf Höhe der Schwimmhalle. Unvermittelt soll der aggressive und unter erheblichem Alkoholeinfluss stehende Mann versucht haben, die Beamten zu schlagen.

Derartige Fälle gab es 2017 im Landkreis genau 28, bei denen es zu sogenannten Widerstandshandlungen gegen Polizeivollzugsbeamte, wie es im Fachjargon heißt, kam. Insgesamt 27 Fälle wurden davon aufgeklärt, was einer 96-prozentigen Quote entspricht. Im Landesgartenschaujahr 2018 beruhigte sich die Lage für die Beamten ein wenig. Von 19 bekannt gewordenen Fällen konnten alle aufgeklärt werden. Im letzten Jahr stiegen die Widerstandshandlungen erneut an. Von den 27 Fällen wurden immerhin 25 aufgeklärt, was einer Quote von 92,6 Prozent entspricht. „Die Aussagen beziehen sich jedoch ausschließlich auf Handlungen gegen Polizeivollzugsbeamte“, so Joachim Albrecht von der Stendaler Polizeiinspektion.

Der Unterschied zwischen Widerstand gegen die Staatsgewalt und Widerstand gegen Polizeivollzugsbeamte (PVB) liegt im Detail.

„Gegen die Staatsgewalt“ beinhaltet Tatbestände gemäß des sechsten Abschnitts des Strafgesetzbuches. Das heißt, dass beispielsweise das öffentliche Auffordern zu Straftaten, Gefangenenbefreiung und Meuterei dazugehören. Der tätliche Angriff und der Widerstand gegen PVBs ist nur ein Unterpunkt, so Albrecht sinngemäß.

Aufschluss gibt auch die jährliche Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) des Landes Sachsen-Anhalt.

In der Antwort auf eine Anfrage des Abgeordneten Sebastian Striegel (Bündnis 90/Die Grünen) an die Landesregierung sind unter den Straftatenschlüsseln „Körperverletzung“ und „Straftaten gegen das Leben“ insgesamt 88 Fälle in ganz Sachsen-Anhalt registriert, bei denen 122 Beamte als Opfer von Körperverletzungen erfasst worden sind. Für den bloßen Widerstand wurden über 800 Fälle registriert, davon 37 bei Fußballveranstaltungen.

Hinter den Zahlen stecken immer persönliche Schicksale. „In der Ausbildung beziehungsweise der Studienzeit werden das Wissen sowie Handlungsabläufe trainiert, gleichwohl ist ein Widerstand für jeden Einsatzbeamten eine akute Stresssituation“, so Albrecht. „Nach einer derartigen Handlung wird durch den jeweiligen Verantwortlichen umgehend geprüft, inwiefern noch eine Dienstfähigkeit gegeben ist und ob gegebenenfalls eine sofortige Vorstellung beim Arzt nötig ist. Zudem stehen den Beamten Mitarbeiter des Kriseninterventionsteams (KIT) und Seelsorger zur Verfügung.“

Damit es zu derartigen Ausnahmesituationen gar nicht erst kommt, steht bereits in der Ausbildung und der Studienzeit der jungen Beamten die Deeskalation auf dem Stundenplan. „Diese ist Bestandteil der stetigen Aus- und Fortbildung sowie der Verhaltensgrundsätze. Insbesondere bei Einsatzlagen wie beispielsweise Demonstrationen und Streitereien zwischen rivalisierenden Gruppen gibt der Polizeiführer sogenannte Leitlinien bekannt. Dann kommen gegebenenfalls auch besonders geschulte Konfliktmanager zum Einsatz und führen deeskalierende Gespräche durch“, erklärt Joachim Albrecht.

Nicht immer fruchten diese Maßnahmen auch, wie in dem Fall des betrunkenen 39-Jährigen in der Burger Marienweg. Auch aus diesem Grund lodern die Diskussionen um sogenannte Taser, also Elektroschockpistolen, die den Angreifer oft nur kurzzeitig außer Gefecht setzten, wieder auf.

In Nordrhein-Westfalen werden derartige Taser zurzeit erprobt. Die Gewerkschaft der Polizei macht sich in Sachsen-Anhalt seit längerem für den Einsatz der Elektroschockpistolen stark.

Jedoch starben seit 2001 nach einer Studie einer Menschenrechtsorganisation in den USA mindestens 40 Personen an den Folgen von Stromschocks.

Noch werden Situationen im Notfall mit der Dienstwaffe beendet. Immerhin: „Eine Schusswaffenanwendung gegen Personen erfolgte im ersten Halbjahr 2020 im Jerichower Land nicht.“ Lediglich 19-mal musste die Dienstwaffe zur Tötung von Tieren eingesetzt werden.

Einen kleinen Hoffnungsschimmer gibt für den Landkreis außerdem noch: „Im Vergleich zum Vorjahr sind die Fallzahlen bisher gesunken.“