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Autobahn 2 Mit Engelsgeduld an der Höllenpiste

Für einen Tag gehörte Redakteur Marco Hertzfeld zum Team der Autobahnmeisterei Theeßen.

Von Marco Hertzfeld 23.07.2018, 18:00

Theeßen l Unfall auf der Autobahn 2. Ein Lkw ist in eine Asphaltfräse gekracht. Der Fahrer und ein Bauarbeiter sterben. Der Horrorcrash hat sich bei Olaf Seise tief ins Gedächtnis eingebrannt. „Die Straße wurde gesperrt, nichts ging mehr. Unsere komplette Mannschaft rückte aus.“ Die Straßenwärter räumten auf, sperrten ab und sicherten den Bereich weiter. Der Verkehr staute sich für mehrere Stunden kilometerweit. „Und dann wird man durch das offene Fenster von den Leuten beschimpft und bepöbelt, dabei machen wir nur unseren Job“, sagt Jenny Tietz. Vier Jahre ist der Unfall her. „Deutschland wurde Fußballweltmeister. Wir waren in dieser Zeit auch tieftraurig.“ Beide kannten den Mann auf der Fräse. Er war knapp über 30 Jahre und wollte bald heiraten.

19 Frauen und Männer kann Henry Lendel einsetzen. Ihre orangefarbenen Hosen und Jacken seien für viele Leute ein rotes Tuch. „Sie sind erst einmal die Schuldigen. Für jede Baustelle und jeden Stau sind grundsätzlich wir verantwortlich. Sogar Berufskraftfahrer, die es besser wissen müssten, meckern und drohen mit der Faust“, berichtet der Leiter der Autobahnmeisterei Theeßen. Zu Handgreiflichkeiten sei es noch nicht gekommen. „Die Kollegen müssen auch so schon mutige Menschen sein. Sie bewegen sich auf einer Strecke, die an Geschwindigkeit unbegrenzt ist.“ 40-Tonner rauschen dicht an ihnen vorbei. Erst vor wenigen Wochen habe ein Lkw-Lenker eines der Flottenfahrzeuge zu spät bemerkt. Eine Kollegin wurde verletzt. „Gott sei Dank nur leicht.“

Die Schicht der Straßenwärter beginnt um 6.30 Uhr. Lendel blickt auf die Uhr. Sein Stellvertreter Hartmut Brandt schaut durch die Tür. „Der Zeitungsmensch?“ Lendel nickt. „Der Kollege für einen Tag?“ Lendel nickt noch einmal. Es geht zum Ankleidezimmer vorbei am Büro von Karin Lisso, der guten Seele der Truppe, die sich um Löhne und andere Verwaltungssachen kümmert. Brandt mustert den Gast und schätzt: „Größe 54 müsste passen, wir hätten noch die 56.“ Alles sitzt wie angegossen. Es geht die Treppe herunter. 2007 ist das Domizil bezogen worden. Tietz und Seise warten. Verkehrsschilder und riesige Maulschlüssel sind verstaut. „Mal sehen, was am Wochenende alles passiert ist“, sagt der 54-Jährige. Bei größeren Reparaturen werden Firmen beauftragt.

Die Theeßener Truppe ist für die Autobahn zwischen Magdeburg-Rothensee und dem brandenburgischen Wollin zuständig. Das sind hin und zurück insgesamt gut 120 Kilometer. Nicht zu vergessen sind die Anschlussstellen, noch einmal mindestens 30 Kilometer. Tietz füttert das JPS-Gerät mit den ersten Daten. Es geht raus aus dem Gewerbegebiet nahe der Kreisstadt Burg hinauf auf die Schnellstraße. Die Aufgabe der beiden steht groß auf einem Schild hinten am Fahrzeug: Streckenkontrolle. Die Rundumleuchte ist eingeschaltet. Es geht auf der Standspur in Richtung Landeshauptstadt mit Tempo 40 oder 50. Seise fährt und hat die beiden Spuren links im Blick, Tietz die anderen zwei.

„Wir schauen nach Schlaglöchern und, mindestens genauso wichtig, nach Blow-ups“, erklärt mir die 37-Jährige ohne ihre Augen von der Fahrbahn zu lassen. Die Hitze wird auf Autobahnen zur tödlichen Gefahr. Durch die hohen Temperaturen können Betonplatten aufbrechen. Die Technik zeigt an diesem frühen Vormittag 16 Grad Celsius an. „Das wird sich bald ändern.“

Sie arbeiten seit zwei Jahren zusammen, beide kommen wie ihr Chef Lendel aus Ziesar in Brandenburg. „Mehr ein Zufall als durch die Arbeit bedingt, wenngleich der Ort günstig nah an der A2 liegt.“ Seise stoppt. Die Kollegin steigt aus, hebt eine fast tischgroße Gummimatte vom Straßenrand auf und schmeißt sie auf die Ladefläche. „Einige Kilogramm Abfall kommen pro Tour schon zusammen.“

Die Straßenwärter arbeiten konzentriert. Reifen, Metall- und Plastikteile sowie alles andere, was dem Verkehr gefährlich werden kann, müssen weg. Findet das Duo richtig schwere Dinge, rücken Kollegen mit einem Kran an. Sondermüll landet in einem Container auf dem Gelände in Theeßen, alles andere in den Behälter der Parkplätze entlang der Strecke. Immer mehr Pkw rauschen am Kontrollfahrzeug vorbei. In Sachsen-Anhalt und weiteren Bundesländern haben die Sommerferien begonnen. Seise kommt ins Grübeln: „Ich persönlich würde die Geschwindigkeit für alle Autobahnen auf 120 begrenzen. Viele Leute fahren wie die Kaputten. Es sind schon Unfälle direkt vor unserer Nase passiert oder wir kamen darauf zu. Da stellt man sich schon die Sinnfrage.“

Vor drei Jahren überschlug sich der Wagen einer Familie. „Wir waren mit vor Ort, unterstützten Polizei und Rettungskräfte“, erinnert sich Tietz. Überall lagen Trümmerteile, dazu das Blut und die bangen Fragen. Die Mutter starb, Vater und Kind überlebten. „Es gibt Situationen, die vergisst du einfach nicht“, meint die 37-Jährige, selbst Mutter. Ein regulärer Stopp vertreibt die Traurigkeit. Insgesamt sechs Parkplätze müssen kontrolliert werden, „Ihlegrund“ ist der erste. Die Straßenwärter lassen ihren Blick schweifen und nehmen das Toilettenhaus ganz genau unter die Lupe. Bei den Männern ist ein Becken verstopft, notiert Seise zur Reparatur ins Buch. Über die mit Farbe beschmierten Wände draußen ärgere er sich schon lange nicht mehr.

Kilometer 73,5 ist erreicht. Das große blaue Schild der Ausfahrt Burg Zentrum ist provisorisch am Boden befestigt und muss wieder nach oben und repariert werden. „Das machen andere, die Aufgabe ist bekannt und wird erledigt.“ Tietz zeigt nach vorn auf die Spuren eines Pkw-Brandes. „In diesem Fall gelangte der Wagen noch bis auf die Standspur.“ Inwieweit eine schnelle Reparatur nötig ist, werde noch an diesem Tag entschieden. Plötzlich fällt den Straßenwärtern ein Sitzkissen für den Garten fast vor das Auto. Die junge Frau findet im Bankett auch noch ein T-Shirt. „Da wird wohl jemand den Koffer offen gehabt haben“, scherzt sie und muss keine 200 Meter weiter schon wieder aussteigen. Diesmal sind es Reste eines geplatzten Reifens, die eingesammelt werden.

Die Streckenkontrolleure passieren Kollegen, die den Rasen mähen und Sträucher stutzen. Weniger Kilometer dahinter wird durch andere ein großes Loch im Wildzaun geflickt. „Tote Tiere nehmen wir übrigens mit. Sie kommen in Theeßen in einen speziellen Behälter und werden von einer Firma abgeholt.“ Erst kürzlich hat es nahe Burg ein Reh erwischt. Unfälle mit Wildtieren seien wegen des Schutzzaunes vergleichsweise selten. Bei toten Hunden könne ein Veterinär auf der Matte stehen und unter der Haut des Tieres nach einem Chip mit Daten des Halters suchen. Mit ausgesetzten Hunden hatten beide bislang noch nicht allzu viel zu tun. Seise: „Im letzten Jahr wurde nahe Buckautal ein Hund in der Größe eines Golden Retrievers gefunden. Er soll im Tierheim gelandet sein.“

Mindestens 130 Kilometer ist das Duo jedes Mal unterwegs. „Es können aber auch deutlich mehr werden. Der Rekord liegt bei knapp 300 Kilometern am Tag. Der Weg zur Ostsee ist kürzer, scherzen wir dann immer.“ Seise wischt sich den Schweiß von der Stirn, steigt aus und eilt zu seiner Kollegin. Die Grenze zur Autobahnmeisterei Börde ist nah, gleich geht es zurück in Richtung Brandenburg. An der Abfahrt Rothensee muss ein Verkehrsschild ausgetauscht werden. Mal hält er das Teil und sie schraubt, mal ist es andersherum. Ein eingespieltes Team auf einer Verkehrsinsel. Die Kontrolleure eilen über die Straße zurück zum Fahrzeug. „Ohne unsere auffallende Arbeitskleidung würden uns viele übersehen“, glaubt Tietz.