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Friedhofsbesuch Zum ersten Mal am Grab des Vaters

Sie kannte ihn nicht, vermisst hat sie ihn trotzdem: Der Vater von Marlies Trenkel starb im Zweiten Weltkrieg in Gardelegen.

Von Gesine Biermann 13.07.2015, 20:14

Gardelegen l Es ist windig an diesem Tag in der vergangenen Woche in Gardelegen, aber auch sonnig und warm. Juliwetter eben. Wie das Wetter an jenem schicksalhaften Julitag vor 71 Jahren war, weiß heute wohl niemand mehr. Und doch: „Als ich eben am Ortsschild vorbeigefahren bis, war mir ganz seltsam zumute“, sagt Marlies Trenkel leise. „Ich dachte: Dieser Ort war das letzte, was mein Vater gesehen hat. Und nun, mit 73, stehe ich zum ersten Mal an seinem Grab...“

Das liegt auf dem Gardeleger Friedhof hinter dem Gedenkstein für die Opfer des Zweiten Weltkrieges. Und einen kleinen Moment lang will sie dort alleine sein, die zierliche, taffe Frau aus der Nähe von Bonn. Das Blumengebinde für den Vater hat sie an der Tafel niedergelegt, auf der sein Name steht. „Nur schade, dass er falsch geschrieben wurde“, findet sie. Aus Schäfer wurde Schefer. Vielleicht sei der Umlaut auf dem Übermittlungsweg per Telegramm verlorengegangen, vermutet ihr Begleiter Torsten Haarseim.

Der Gardeleger Hobbyforscher hat sich für die Besucherin viel Zeit genommen an diesem Tag. Schon vorher hatten beide korrespondiert. Den Kontakt nach Gardelegen gesucht hatte Trenkel allerdings von sich aus. Denn seit Anfang Mai weiß die langjährige Mitarbeiterin der internationalen Abteilung der Friedrich-Ebert-Stiftung und ehrenamtliche Studienreiseleiterin, dass sie im Juli in die Altmark kommen wird.

Ein Anruf bei der Stadtverwaltung stellt sich dabei als sehr hilfreich heraus. Denn die „sehr nette Sekretärin des Bürgermeisters“ vermittelt den Kontakt zu Torsten Haarseim. Und was der ihr alles über den Tod des Vaters berichten kann, habe sie „sprachlos gemacht“, sagt Marlies Trenkel. „Als ich das Material hatte, brauchte ich lange, um das alles sacken zu lassen.“ Denn Haarseim kann ihr nicht nur mitteilen, wo ihr Vater beerdigt wurde, er hat genaue Informationen über seinen Tod und er bringt sie vor wenigen Tagen auch persönlich an den Ort, wo er starb.

Direkt am Rande des einstigen Fliegerhorstes zeigt ihr Haarseim auf alten Fotografien, wie es dort 1944 aussah, beschreibt ihr genau, woher die Flugzeuge kamen. Fast kann man das Brummen in der Luft hören. Bewegende Momente für die Tochter, auch wenn sie sich selbst nicht mehr an den Vater erinnern kann.

Doch natürlich gibt es viele Geschichten über ihn, die die Mutter erzählte. Zum Beispiel von seinem letzten Besuch zu Hause, bei dem er „so traurig und verschlossen war, weil er wohl viel Leid gesehen hat“, und auch, dass ihm die zweijährige Tochter am letzten Tag nicht von der Seite wich, „als ob wir beide was gespürt haben.“

Der Mutter kann Marlis Trenkel nicht mehr von ihrem Besuch in Gardelegen erzählen. Doch ihr Sohn, weiß sie, wird sich sehr dafür interessieren. Ihm kann sie jetzt ein Foto zeigen, auf dem der Mann zu sehen ist, der seinen Großvater abschoss. Frederick J. Christensen wurde deshalb zum Kriegshelden ernannt.

Hasst man so einen Menschen? Nachdenklich streicht Marlies Trenkel über das Bild ihres Vaters, der nur halb so alt wurde wie ihr Sohn, und sagt dann den vielleicht beeindruckendsten Satz dieses Tages: „Er konnte ja auch nichts dafür. Es ist gut, dass wir alle im Frieden leben können.“