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Heimatlos Obdach ja – „für kurze Zeit“

Wie lange darf sich ein Wohnungsloser irgendwo aufhalten? Was, wenn er nicht wieder gehen will? Wann muss die Behörde einschreiten?

Von Gesine Biermann 25.07.2015, 03:00

Lindstedt l Wo er herkam, weiß niemand so genau. Sein Schicksal blieb sein Geheimnis. Fest steht nur: Irgendwann auf seinem Lebensweg muss der Mann den sogenannten normalen Regeln des Lebens den Rücken gekehrt haben. Aus dem Nichts tauchte er im Juni in dem kleinen Dorf Lindstedt auf und ließ sich im örtlichen Gutsgarten nieder. Der offensichtlich aus Polen stammende Mann schlief unter freiem Himmel, machte sich ein Feuerchen gegen die nächtliche Kälte und ernährte sich von diesem und jenen. Manches wohl auch aus umliegenden Gärten nicht ganz legal besorgt.

So viel Elend konnten die herzensguten Lindstedter aber offensichtlich nicht mit ansehen und gaben gern und reichlich. Sogar ein Zelt spendierten sie dem Wohnungslosen, damit er sich vor Regen schützen konnte. „Die Leute wollten einfach helfen“, betont Ortsbürgermeister Siegfried Jordan im Gespräch mit der Volksstimme. Man sei in einem so kleinen Dorf den Umgang mit Obdachlosen ja auch nicht gewöhnt.

Dafür gewöhnte sich der Mann aber offenbar um so schneller an die mitleidigen Nachbarn. Schon bald klingelte er regelmäßig an Türen und schnorrte Lebenswichtiges, wie Essen und Getränke, „aber zum Beispiel auch Bier und Zigaretten“, so Jordan. Irgendwann wurde das den Lindstedtern dann offenbar doch zu viel. Etliche Beschwerden gingen bei Jordan ein, der diese auch an die Verwaltung in Gardelegen weiterleitete. Allerdings hielt sich der Mann zumeist im Gutsgarten auf, und der sei nun mal kein kommunales Terrain, sondern im Besitz des Vereines Historische Region Lindstedt, erinnerte Jordan die Bürger.

Sachgebietsleiterin Birgit Matthies im Gardeleger Ordnungsamt nahm den Fall nun zum Anlass, um in einem Schreiben an den Vorsitzenden des Ortschaftsrates noch einige allgemeine Hinweise dazu zu geben. Denn in den Großstädten „sicher alltäglich“, sei in kleineren Ortschaften der Anblick obdachloser Personen indes „noch recht ungewöhnlich“, so Matthies. Grundsätzlich gelte in einem solchen Fall folgende Vorgehensweise: „Wenn sich ein Obdachloser in den Ortschaften aufhält, bekommt die Sicherheitsbehörde – in diesem Fall also das Gardeleger Ordnungsamt – zunächst eine Mitteilung“, im Idealfall melde sich diejenige Person selbst.

Sobald bekannt ist, das ein Mensch obdachlos ist, müsse die Behörde ihm dann „für kurze Zeit“ eine trockene und warme Unterkunft besorgen. Dazu, so Matthies, gebe es seitens der Stadt einen Vertrag mit dem Gardeleger Jugendförderungszentrum, wo ganzjährig ein Zimmer zur kurzfristigen Unterbringung solcher bedürftigen Menschen vorgehalten werde. So habe die Person einige Tage Zeit, „notwendige Anträge auf Unterstützung zu stellen und sich um Wohnraum zu kümmern“

Dennoch sei der Fall in Lindstedt ein besonderer, denn der Mann zähle zu den Menschen, „die nicht obdachlos sind, sondern auf eigenen Wunsch durch die Lande ziehen, sich mal hier, mal dort aufhalten und im Freien nächtigen“. „Dies ist ihr freier Wille“, betonte Matthies. Solange sie sich nicht ungebührlich benehmen, durch Straftaten die öffentliche Sicherheit und Ordnung stören oder sich selbst gefährden – „zum Beispiel beim Schlafen im Freien bei 20 Grad minus“ – könne die Behörde nichts unternehmen. Allerdings erarbeite die Stadt derzeit eine Gefahrenabwehrverordnung laut der das Campen und Hausen im Freien eingedämmt – und auf manchen Flächen ganz verboten – werden könne.

Im Lindstedter Fall setzte der Verein als Gutsgartenbesitzer schließlich, „unter Zuhilfenahme von Sicherheitsbehörden wirkungsvoll die Räumung der Stätte um“, da der Mann durch Betteln die Ordnung störte. Die Polizei brachte ihn sogar zum Zug.