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Flüchtlinge Angekommen in Gardelegen

In Gardelegen fanden gestern Familien aus Syrien und Afghanistan in der Asylunterkunft eine Bleibe. Sie werden in Wohnungen untergebracht.

Von Gesine Biermann 12.09.2015, 03:00

Gardelegen l Benjamin Wardaki hält die beiden winzigen Kuscheltiere ganz fest, die ihm die Mitarbeiter der Gardeleger Asylunterkunft gerade geschenkt haben. Seine Mama Sarmina Azizi (27) flüstert dem Vierjährigen etwas ins Ohr. Und er versucht, ein bisschen in die Kamera zu lächeln. In seinen Augen kommt dieses Lächeln allerdings nicht an. Was er gesehen haben mag, seit er sich mit seiner Familie auf den Weg von Afghanistan nach Deutschland machte, kann sich hier wohl kaum jemand vorstellen.Mit seinen Eltern und der jüngeren Schwester Jusemin hat Benjamin einen langen Weg hinter sich. Sein Papa Arzizkhan Wardaki beschreibt die Route: Über die Türkei und Griechenland war die Familie nach Mazedonien gelangt, von dort aus führte ihr Weg über Ungarn und Österreich nach Passau.

Dort campierten die vier zunächst eine Woche lang in Zelten, eine weitere Woche konnten sie dann in einem Haus schlafen, erzählt der junge Mann. Dann ging‘s mit dem Bus nach Halberstadt und gestern nun nach Gardelegen. Die vier sind also endlich angekommen. Vorerst jedenfalls. Denn auch in der Gardeleger Asylunterkunft können sie nicht lange bleiben. Bis zum nächsten Freitag müssen sie irgendwo anders untergebracht sein, sagt Kreisdezernent Hans Thiele. Denn dann kommen die nächsten 30 bis 40 Flüchtlinge in Gardelegen an.150 Menschen im Monat sind es derzeit im gesamten Altmarkkreis. Aber auch das ist keine verlässliche Größe. Aus 30 angekündigten Flüchtlingen in der Woche können schnell mal 40 werden, weiß Thiele. Das müsse dann auch irgendwie organisiert werden. Und auch wichtige Informationen, ob Kinder dabei sind, oder wie alt die sind - all das erfährt er als Zuständiger für die Flüchtlingsunterbringung im Altmarkkreis erst am Ankunftstag. Das macht die Vorbereitung kompliziert.

Und auch anderes kann eben keiner planen. Spenden zum Beispiel. „Was die Leute brauchen, ist ganz unterschiedlich“, sagt Thiele. Manche Familie habe vor ihrer Flucht noch packen können und hätte vieles dabei, andere kämen tatsächlich mit leeren Händen. Wie gut es dann ist, wenn man in der Unterkunft schon mal mit dem einen oder anderen aushelfen könne, beteuert Cordula Meyer, eine der beiden Mitarbeiterinnen, die sich – über eine Maßnahme des Jobcenters – vor allem um die Kinder kümmert. Spielzeug bricht schließlich so manchen Damm und öffnet kleine Herzen. Dringend benötigt würden derzeit aber auch warme Wintersachen für Erwachsene und Kinder oder Schreibmaterialien, zählt Dolmetscherin Janet Warda auf. Sie ist für die Flüchtlinge die erste und oft die einzige echte „Ansprechpartnerin“, denn Warda spricht englisch und arabisch und ist damit ein absoluter Glücksfall für Gardelegen.

Das wird auch gestern wieder mehr als deutlich, als die energische kleine Frau nach Ankunft der 30 Flüchtlinge dies regelt, das organisiert und das nächste hinterfragt und zwischen ihnen, Thiele und seinen Mitarbeitern Verständigungsbrücken baut. Gut zu tun haben aber gestern ohnehin alle. Noch bis kurz vor Ankunft der Menschen routieren Thieles Mitarbeiter. Jede Familie erhält eine Grundausrüstung fürs Kochen, Topf, Pfanne, Besteck, ein bisschen Geschirr. Matratzen und Bettzeug müssen verteilt werden. Aber alle packen mit an. Und Nadine Steinert, Sozialarbeiterin in der Unterkunft Salzwedel, bezieht für die jüngsten Kinder das Bettchen auch schon mal. Eine nette Geste, genau wie die Entscheidung des Altmarkkreises, für die ganz kleinen Flüchtlingskinder ein Kinderbettchen zur Verfügung zu stellen und kein großes Erwachsenenbett. „Das ist nicht gefordert, aber wir finden das besser“, sagt Thiele.

Jusemin, Benjamins zweijähriges Schwesterchen, freut sich jedenfalls sichtlich über ihr Bettchen und legt gleich ihr neues Kuscheltier hinein. Als ihr Papa das Bett dann plötzlich aus dem Zimmer trägt – die Familie soll mit einer anderen tauschen – weint das afghanische Mädchen bitterlich. Spätestens da wird deutlich, welche Verlustangst die Kinder haben. Höchste Zeit, dass die Familien wieder Ruhe und in einen Alltag finden.