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Lehrzeit Null Bock auf Ausbildung?

Das Ausbildungsjahr hat begonnen - für einige Betriebe eine Gleichung mit Ubekannten. Denn so mancher hat deutliche Lücken.

Von Gesine Biermann 22.09.2015, 19:08

Gardelegen l „Wir würden gern mehr Lehrlinge einstellen. Die gibt es aber nicht.“ Wolfgang Seidensticker, Geschäftsführer im Gardeleger Glaswerk, bringt das auf den Punkt, womit derzeit die meisten Ausbildungsbetriebe zu kämpfen haben. Denn die geburtenschwachen Jahrgänge sind längst im ausbildungsfähigen Alter. Es gibt also immer weniger junge Leute, die eine Lehrstelle suchen, dafür aber genügend freie Ausbildungsplätze. Die allerdings werden mit der fortschreitenden Technisierung in vielen Berufen nicht einfacher. Und damit seien viele Schulabgänger ganz einfach überfordert, sagt Seidensticker. Sein Unternehmen, die HNG Global GmbH, bildet zum Beispiel Elektriker aus. „Aber dafür muss man rechnen können.“ Und genau das könnten die jungen Leute heute oft nicht mal ansatzweise.

Auch Astrid Engelhardt, Personalreferentin bei der Gardeleger NTN-Antriebstechnik GmbH, kann das nur bestätigen: „Die vier Grundrechenoperationen, Dreisatz, also einfachste Mathematik, sind Mindestvoraussetzung bei uns.“ Das Niveau derer, die sich bewerben, sinke aber seit Jahren deutlich. Ausgebildet werden im Werk, das mit modernster Technik Gelenkwellen produziert, derzeit acht junge Leute in den Berufen Zerspanungsmechiker, Industriemechaniker und Werkstoffprüfer. Eine Ausbildung dauert in der Regel dreieinhalb Jahre.

Einen Ausbildungsplatz bekommt allerdings nur, wer einen Eignungstest besteht und bereit ist, ein kurzes Praktikum zu machen. Ersteres soll sicherstellen, dass die jungen Leute den Anforderungen intellektuell gewachsen sind. Letzteres soll helfen, mit Illusionen aufzuräumen. „Viele haben komplett andere Vorstellungen vom Beruf“, sagt Astrid Engelhardt. So müsse ein Zerspaner-Azubi zum Beispiel in den ersten Jahren vorwiegend Sägen und Feilen lernen, bevor er im dritten Jahr mit dem Drehen und Fräsen betraut wird, erläutert Engelhardt. Da sei Durchhalten die Devise.

Aber auch das ist keine Eigenschaft, die die Ausbildungsverantwortlichen in Gardelegen unbedingt allen Bewerbern bescheinigen können. Genau so wenig, wie Zuverlässigkeit: „Einen Bewerber hatten wir dreimal zum Vorstellungsgespräch eingeladen und er hat uns dreimal versetzt“, erzählt zum Beispiel Wolfgang Seidensticker. Jedesmal mussten Personalchef, Abteilungsleiter und Geschäftsführer des Glaswerkes dafür ihre Arbeit unterbrechen. „Wir haben dreimal eine halbe Stunde gewartet“, so Seidensticker kopfschüttelnd.

„Da werden Termine nicht eingehalten und auch nicht im Vorfeld abgesagt!“ – auch Andrea Lemkau, Leiterin für Ausbildung und Management im Gardeleger Unternehmen Eldisy, kennt solche Situationen zur Genüge. „Ein junger Mann hatte sogar bereits seinen Vertrag unterschrieben und ist dann am ersten Tag einfach nicht aufgetaucht!“ So mancher Schüler hat wohl offenbar gleich mehrere Eisen im Feuer, sprich Bewerbungen laufen, und pickt sich dann das vermeintlich beste heraus. „Die Bewerber wissen einfach auch, dass man nicht mehr so gut Azubis bekommt“, weiß Lemkau. Und auch sie kennt das Problem, dass man beim Abschluss von Lehrverträgen heutzutage „oft einfach ein Auge zudrücken muss“, wenn man überhaupt freie Stellen besetzen wolle. Dabei hat der engagierte Nachwuchs in der Eldisy GmbH – wo derzeit insgesamt 13 junge Leute in drei verschiedenen Berufen ausgebildet werden – eine gute Chance, nach einer erfolgreichen Ausbildung übernommen zu werden, genau wie im Glaswerk oder der NTN GmbH.

Und zum Glück passiert das auch immer noch häufig. Positive Beispiele gibt es zuhauf. Und auch einige sehr überraschende Wendungen. So werde bei Eldisy derzeit ein Mann ausgebildet, der schon deutlich älter ist, als die anderen. „Er fühlte sich in seinem vorherigen Beruf nicht wohl“, nun sei er sehr erfolgreich in seiner Ausbildung, so Lemkau. Eine junge alleinerziehende Mutter von zwei Kindern ist für Astrid Engelhardt bei NTN ein Beispiel für eine echte Erfolgsstory: „Sie wird bei uns zur Maschinen- und Anlagenführerin ausgebildet und macht sich richtig gut. Vielleicht“, so mutmaßt die Personalerin, übernehme sie als Mutter einfach mehr Verantwortung als andere junge Leute. „Das Problem ist doch, dass der Zwang nicht da ist.“

Der Gesetzgeber sichere jungen Leuten Unterkunft im Elternhaus bis zum 25. Lebensjahr. Für manchen fehlt da möglicherweise der Ansporn und die Erfahrung, dass nur die eigene Ausbildung die Zukunft sichert.