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Servicemarkt Wo ein Einkauf nicht nur Einkauf ist

Wie leben und arbeiten die Menschen in der Großstadt Gardelegen? Die Volksstimme hat dafür ins Geschäft von Inge Pilzecker geschaut.

Von Donald Lyko 10.11.2015, 02:00

Jävenitz l „S + M“ steht auf dem Schild seitlich vom Eingang, darunter die kompletten Worte „Service & Markt“. Aber für die meisten Jävenitzer und Kunden aus den Nachbarorten ist es noch heute einfach und kurz „der Konsum“, wenn sie von Inge Pilzeckers Geschäft an der Breiten Straße sprechen. Eine, die dort fast täglich anzutreffen ist, ist Melitta Schwarzlose. Auch an diesem Freitagvormittag kommt sie schnell in den Laden, um eine Zeitung zu kaufen. Wie es ihr gefällt, dass es diesen Laden noch im Ort gibt? „Super, keine Frage, gerade für uns ältere Einwohner“, sagt die Rentnerin und zeigt auf ein Regal mit Advents- und Weihnachtsartikeln: „Und es gibt immer etwas Saisonales.“

Der tägliche Besuch im Geschäft ist für Melitta Schwarzlose mehr als nur der notwendige Einkauf. „Man trifft auch Leute zum Erzählen“, sagt sie und fügt schmunzelnd hinzu: „Da könnte Frau Pilzecker bald noch eine Erzählecke einrichten.“ Wer weiß? Sich auf Kundenwünsche einzustellen und diese nach Möglichkeit zu erfüllen, ist eine der Lektionen, die Inge Pilzecker lernen musste, nachdem sie sich zum Weg in die Selbstständigkeit als Gewerbetreibende entschieden hatte, in dem sie mit einem eigenen Geschäft einen beruflich ganz anderen Weg eingeschlagen hat – Neuland für die gelernte Bürokauffrau. Im Jahr 2002 war das, am 1. November.

Von Februar bis Oktober bereitete sie sich auf die Geschäftseröffnung vor, traf sich mit Lieferanten und Großhändlern, schaute sich nach Mitarbeitern um, brachte die Räume auf Vordermann. Räume, die eine Geschichte als Verkaufseinrichtung hatten. Der Kaufmann August Peckmann, der sich etwa 1885 in Jävenitz niedergelassen und hier seine Frau kennengelernt hatte, richtete um 1895 ein Kolonialwarengeschäft ein, in dem es Nägel und Werkzeug ebenso gab wie Lebensmittel. An den Wochenenden wurden Filialen, die es in umliegenden Orten gab, beliefert. Gute Kunden bekamen ihre Lieferungen auch frei Haus. Dafür hatte der Händler einen passenden Wagen und einen Esel, der ihn zog.

Als 1907 die Lagerkapazitäten nicht mehr ausreichten, wurde angebaut. 1923 übernahm sein Sohn Walter Peckmann gemeinsam mit seiner Frau das Geschäft. Weil deren einzige Tochter in eine Bauernwirtschaft heiratete, gingen Haus und Laden im Jahr 1966 an die Konsumgenossenschaft. Gut ein Jahrzehnt nach der Wende konnte sich das Geschäft trotz der Supermarkt-Konkurrenz noch halten, am 7. Dezember 2001 kam aber das Aus – so richtig glauben wollten das viele nicht, denn der Laden gehörte in Jävenitz einfach dazu.

Nicht nur, weil die Peckmanns Verwandte ihres Mannes waren, kam die damals arbeitssuchende Inge Pilz­ecker wenig später auf die Idee, den Jävenitzern wieder eine Einkaufsmöglichkeit zu bieten. Den Eröffnungstag hat sie noch gut in Erinnerung. Ihre damalige Mitarbeiterin Erika Rudolph, die heute noch als Aushilfe zur Mannschaft gehört, saß damals an der Kasse, und die Schlange wurde immer länger. „Und dann hat die Kasse gestreikt, wir haben mit dem Taschenrechner abgerechnet. Und der Zucker war alle“, erzählt Inge Pilzecker. Nach einer besonderen Erinnerung aus den mittlerweile 13 Geschäftsjahren gefragt, fällt ihr spontan ein Fernsehbeitrag im MDR-Regionalfernsehen ein, in dem über den kleinen Dorfkonsum berichtet wurde.

„Danach haben mich sogar Bekannte aus Berlin angerufen, die die Sendung gesehen hatten.“Vieles hat sich seit der Eröffnung eingespielt, einiges ist schwierig geblieben. „Mit dem Preis zu jonglieren, ist bis heute nicht einfach“, sagt die Geschäftsfrau, denn bei der Konkurrenz an großen Einkaufsmärkte sei es schwer für Einzelhändler. Aber sie sagt auch: „Ich bin da reingewachsen, es hat bisher immer Spaß gemacht. Gerade die Älteren nehmen es sehr gut an.“

Und danken es mit Treue. So wie Stammkundin Magrit Porschat. „Ich finde hier immer alles, was ich brauche. Und der Weg hierher ist kurz, wenn ich mal was vergessen habe.“ Und noch etwas gefällt ihr an dem Angebot auf den rund 140 Quadratmetern Verkaufsfläche: „Hier weiß ich, wo alles steht.“ Und wenn doch mal etwas gesucht wird, was sonst nicht so oft gekauft wird, dann hilft Inge Pilzecker. „Bei uns geht es familiär zu, der Umgang ist nicht so anonym, man kennt sich eben. Viele freuen sich einfach, wenn sie mit ihrem Namen angesprochen werden“, sagt die Jävenitzerin – bevor sie von Anika Kumm um Hilfe gebeten wird.

Die junge Mutter ist schnell mit ihrer Tochter, der zehn Monate alten Amelia, ins Geschäft gekommen. Lebensmittelfarbe benötigt sie dringend, ein Kuchen soll heute noch gebacken werden. „So ein Markt im Ort ist super, da muss man nicht erst in die Stadt, wenn etwas fehlt“, sagt sie und zeigt auf ihre eher legere Kleidung. „Und man muss sich und die Kleine nicht erst für die Fahrt in die Stadt umziehen.“ Weil sie gerade schwärmt, fügt sie auch noch hinzu: „Und ich kann meinen zehnjährigen Sohn schnell mal herschicken.“

Als es 2002 mit „S + M“ losging, sah das Geschäftskonzept eher einen Sonderpostenmarkt vor. „Aber die Kunden wünschten sich Lebensmittel, wollten frisches Obst und Gemüse“, erinnert sich Inge Pilz­ecker. Und so stellte sie das Sortiment um, das heute eine breite Palette bietet. Schrauben und Nägel gehören ebenso dazu wie Butter, Zucker, Mehl und Wurst, wie Gewürze, Tischdecken und Drogerieartikel sowie Zeitschriften, Geschirr, Einweggläser – und jetzt eben Räuchermännchen und Weihnachtsdeko. Von den meisten Artikeln hat Inge Pilzecker die am Regal stehenden Preise im Kopf, nur wenige Dinge sind direkt ausgepreist.

Noch heute schaut die Geschäftsfrau, die zum Jävenitzer Gewerbestammtisch gehört, genau hin, was bei den Kunden so geht. „Wenn etwas viel nachgefragt wird, dann bestellen wir es auch“, sagt Inge Pilzecker, die ihr Geschäft gern als Gemischtwaren-Laden beschreibt und sich über einen festen Kundenstamm freuen kann. Kunden, die ihrer Ansicht nach „einen ruhigen Einkauf schätzen“. Und die den Weg zum Geschäft nicht selten zeitlich so legen, dass sie Bekannte (vom anderen Ende des Dorfes) treffen können. „Es ist schön zu sehen, dass sie gern zum Klönen herkommen.“ Gelernt hat sie in den ersten Jahren aber auch, dass „mittags im Dorf nicht viel läuft“. Heißt: Die Kunden kamen vor dem Mittag und meist nach dem Kaffeetrinken. Darum ist das Geschäft zwischen 12 und 15 Uhr geschlossen. Geöffnet ist von Montag bis Freitag und am Samstagvormittag.

Das Geschäft ist aber auch Servicestelle für die Deutsche Post, einmal in der Woche kommt Schneiderin Barbara Niebuhr aus Kloster Neuendorf. „Dieser Service wird sehr gut angenommen“, berichtet die Ladeninhaberin. Auch Schuhe, die repariert werden sollen, nimmt sie an sowie Wäsche für die Reinigung. Im Laden bietet sie einen Einpackservice an, wenn es mal ein Geschenk sein soll.

Und noch einen Service gibt es: Die Kunden – aus Jävenitz, aus den Nachbarorten und auch vom Durchreiseverkehr auf der Bundesstraße 188 – erfahren gleich im Eingangsbereich, was im Ort zu los ist. Denn am schwarzen Brett hängen Einladungen und Veranstaltungsplakate. Und dort hängen historische Fotos vom Geschäftsgebäude und ein kurzer Abriss zur Geschichte der Einkaufsmöglichkeit in Jävenitz. „Das Kolonialwarengeschäft erleichterte das Einkaufen erheblich. Die Jävenitzer brauchten nicht mehr nach Gardelegen zu fahren“, ist zu lesen – für die Anfangsjahre Ende des 19. Jahrhunderts. Aber auch heute noch würden die Kunden dies unterschreiben.

Im elften Teil unserer 24-teiligen Serie lesen Sie am Donnerstag, 17. Dezember, in Ihrer Volksstimme, wieviel Arbeit so ein Garten machen kann – insbesondere einer wie der große Mühlengarten der Familie Heins in Seethen.