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Frauentag Energiegeladen sind sie immer noch

An aufreibende und schöne Zeiten erinnerten sich die Damen im Gardeleger Schützenhaus, die 20 Jahre zusammen arbeiteten.

Von Anke Kohl 09.03.2016, 20:00

Gardelegen l Ein großer, hoher Raum mit Regalen, die bis fast unter die Decke reichen, alle vollgestellt mit großen, schweren Büchern. Ein schwarzer Buchrücken neben dem anderen – sie dominieren den Raum und wirken regelrecht erschlagend. Es scheint wahrlich kein gemütlicher Arbeitsplatz gewesen zu sein, den sich die Mitarbeiterinnen des Energieversorgers, Abteilung Absatz, zu DDR-Zeiten in Gardelegen geteilt haben.

„Hier bleibste keinen Tag länger“, sagte sich Reni Kot, als sie diesen, ihren neuen Arbeitsplatz das erste Mal betrat. Abgeschreckt von der düsteren Ausstattung des Großraumbüros an der Letzlinger Landstraße hätte sie am liebsten auf dem Absatz kehrt gemacht. „Es wurden dann 17 Jahre“, fügte sie gestern in der fröhlichen Frauentagsrunde im Schützenhaus hinzu. Dass sie geblieben ist, lag mit Sicherheit auch an den Kolleginnen. „Wir waren ‘ne dufte Truppe. Haben viele Feiern durchgezogen und gemeinsame Fahrten gemacht“, erzählte Helga Schwerdtner. Insgesamt 40 Jahre hat sie für den regionalen Energieversorger gearbeitet. Von 1955 bis 1995. „Ich war blutjung als ich dort anfing“, betonte sie mit einem herrlichen Lächeln. Und sie sei damals die einzige Frau im Betrieb gewesen.

Mehr als zwanzig Jahre haben Gudrun Albat, Inge Storbeck, Reni Kot, Helga Schwerdtner, Sigrid Röhl, Doris Papke, Irmtraud Mach und Elsbeth Franz zusammengearbeitet. Aber erst zweimal nach ihrem jeweiligen Abschied in den Ruhestand haben sich die ehemaligen Kolleginnen in so großer Runde wieder getroffen. Das erste Mal war im Jahr 2000. „Viele Jahre zuvor hatten wir rumgesponnen, dass wir uns zur Jahrtausendwende wieder treffen. Da war an das Jahr 2000 noch gar nicht zu denken. Den verstorbenen Kollegen wollten wir eine Blume und eine Kanne Wasser ans Grab bringen“, erzählt Gudrun Albat.

An dieses Versprechen erinnerte sich Inge Storbeck so genau, dass sie die Organisation dessen in die Hand nahm und für den 1. Juni 2000 die ehemalige Abteilung Absatz zusammentrommelte. „Der 1. Juni war in der DDR der Tag des Energieversorgers“, erklärte Gudrun Albat. Die Blumengrüße brachten die Frauen gemeinsam zum Friedhof. Anschließend ging es per Fahrrad nach Lindenthal und Zienau. „Das war ein wirklich schöner Tag“ erinnerten sich die Kolleginnen, die heute im Alter zwischen 62 und 82 Jahre sind.

Überhaupt waren es ziemlich viele Erinnerungen, die zwischen den Kolleginnen geradezu hin- und herflogen. Von Geburtstagsfeiern war die Rede. Die begannen morgens im Büro mit einem Frühstück, und dann gab es Bowle. „Nicht nur ein Glas. Eimerweise“, verriet Sigrid Röhl augenzwinkernd und erntete für ihre schelmische Denunziation Protest von allen Seiten. Einmal habe eine Kollegin einen Blumenübertopf geschenkt bekommen. Darin wurden alle Reste an geistigen Getränken gegossen und dann machte das Gebräu die Runde. „Uih, das werde ich nie vergessen“, erinnerte sich Inge Storbeck, und zeitgleich kräuselt sich ihre Stirn und die Mundwinkeln senken sich. Von guten, besseren und nicht so beliebten Arbeitsplätzen im Großraumbüro für acht Frauen erzählen sie. „Ich hatte einen guten Platz“, so Sigrid Röhl. Die Tür im Blickfeld – so habe sie immer gleich gesehen, wenn jemand hereinkam und „dicke Luft im Anmarsch“ war.

Zwei Minuten zu früh zur Mittagspause oder flott und geschlossen im Kollektiv in den Konsum gegenüber gehen, weil es gerade Bananen gab – die Abteilung Absatz gab ihrem gutmütigen, aber sehr fairen Chef durchaus mal Anlass zur Rüge. „Aber er wusste immer, dass er sich auf uns verlassen kann. Und er konnte sicher sein, dass die Arbeit auch gemacht wurde“, betonte Helga Schwerdtner. Zur Arbeit gehörte damals auch, dass die Damen in der Erntezeit vom Schreibtisch auf den Acker des Patenbetriebes in Trüstedt wechseln mussten. Kartoffellesen war dann angesagt. Oder später im Jahr hieß es, die Zuckerrüber für den Abtransport vom Feld auf den Anhänger zu werfen. Und selbst das dürften die geradezu energi(e)-geladenen Damen mit Bravour und Humor gemeistert haben.