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Generationswechsel Vom Geschäftsgründer zur Aushilfe

Zweirad Bonig - ist in Mieste und Umgebung seit 39 Jahren ein Begriff. Geschäftsgründer Uwe Bonig hat nun einen Nachfolger.

Von Ilka Marten 01.04.2016, 03:00

Mieste l Es war ein Artikel in der Volksstimme, der ihn 1976 auf die Idee brachte, seinen Beruf aufzugeben, um eine Fahrradwerkstatt zu gründen. „Ich hatte gelesen, dass jemand in Magdeburg durch die ganze Stadt gesaust ist, um eine Fahrradwerkstatt zu finden. Und als er dann endlich eine gefunden hatte, musste er acht Wochen auf die Reparatur warten“, erzählt Uwe Bonig (71) schmunzelnd. Seine Idee: eine Fahrradwerkstatt in Mieste. Genau heute vor 39 Jahren eröffnete er sein Geschäft in der Werkstatt zu Hause in der Neuen Siedlung.

Der Weg dahin war lang: Er brauchte eine Genehmigung der Gemeinde, eine vom Rat des Kreises, eine vom Rat des Bezirkes und ein polizeiliches Führungszeugnis. Bonig: „Ein Jahr habe ich gekämpft.“ Dazu kam die Auflage, dass er seinen Handwerksmeister machen muss. Das bedeutete neben der Arbeit zwei Jahre freitags und sonnabends Schule in Stendal und Magdeburg. Weil es gerade keinen Meisterlehrgang für Zweiradmechaniker gab, machte er seinen Schlossermeister. Dass er überhaupt die Chance für sein Gewerbe bekam, „lag mit Sicherheit daran, dass es in Mieste keinen Fahrradladen mehr gab“. Den hatte bis in die 70er Jahre „Fritze Schlauch“ betrieben, wie er im Volksmund genannt worden war. Er war verstorben, der Laden schloss.

Seinen Beruf, Betriebsschlosser im Miester AZW, gab Bonig, der aus Arendsee stammt und gelernter Landmaschinenschlosser ist, mit seiner Geschäftsgründung auf. Die Fahrradreparatur hatte er schon als Jugendlicher von der Pike auf gelernt, denn als Schüler verdiente er sich in der Werkstatt von Wilhelm Michaelis in Arendsee sein erstes Taschengeld in der Fahrradwerkstatt, die der Arendseer schon vor dem Zweiten Weltkrieg dort betrieben hatte.

Vom ersten Tag an hatte Bonig in seiner Miester Werkstatt gut zu tun. „Auch bei mir gab es Wartezeiten von acht bis zwölf Wochen. Ich war ja im Umkreis von 100 Kilometern der Einzige.“ Doch nicht nur Fahrradreparaturen machte der Miester, er baute Fahrräder komplett neu auf. Im Schnitt 300 Räder habe er so pro Jahr verkauft. Auf den Schrottplätzen der Region suchte er nach alten Rahmen, die ließ er dann in Zerbst neu lackieren – und am Ende war aus dem Schrottrahmen ein schickes neues Rad geworden.

Auch Mopeds reparierte Bonig in seiner Werkstatt. Weil er jedoch keinen Vertrag von Simson bekam, „habe ich dann auch keine Ersatzteile mehr bekommen“. Allerdings: Ersatzteile für 150er MZ konnte er besorgen und so auch Motorräder reparieren. Bis zur Wende lief Bonigs Geschäft. Dann kam der große Einschnitt: „Die Reparaturen brachen schlagartig weg. Es gab doch alles neu.“ Der Miester Geschäftsmann stand vor der Frage: „Dicht machen oder Fahrradverkauf?“ Die Antwort gibt er selbst: „Zehn Jahre hatte ich mich mit den roten Socken rumgestritten. Wer die DDR übersteht, will doch nicht irgendwo als Knecht wieder in Arbeit gehen.“

Und damit wagte Bonig gleich Ende 1990 den Sprung als Unternehmer in die Marktwirtschaft – mit seinem neuen Fahrradgeschäft an der Wilhelmstraße, wo bis heute vom Kinder- bis zum Herrenrad alles zu finden ist. Wo früher die Dienstleistungsannahmestelle war, glänzen nun neue Räder. Bis zu 550 Räder pro Jahr verkaufte der Miester in den ersten Jahren nach der Wende: „Es gab kein Internet, keine Räder in Baumärkten, keine Kataloge.“ Nach und nach vergrößerte sich Bonig mit seinem Geschäft, zu dem immer die Reparatur gehörte. Und zu Uwe Bonig gehört noch immer der blaue Nylon-Kittel – damals wie heute: „Ohne den erkennt man mich gar nicht.“

Noch vor der Geschäftseröffnung hospitierte der Miester zwei Wochen in einem Fahrradgeschäft bei Bremen. Er hatte von diesem Angebot für Händler aus dem Osten in einer Radzeitschrift gelesen. „Und das hat richtig was gebracht. Es gab ja dort nicht Fahrräder wie bei uns. Da war ja ein Haufen Technik dran.“ Zu seinem Mentor von damals hat Uwe Bonig bis heute Kontakt. Der hatte ihm auch von einer Zweigstelle abgeraten, Bonig probierte es trotzdem in Oebisfelde. Doch was das Geschäft in Mieste einbrachte, fraß das in Oebisfelde auf. Noch vor Jahresfrist beendete der Unternehmer dieses Experiment.

Nicht nur Uwe Bonig machte sich heute vor 39 Jahren selbstständig. Genauso lange ist seine Frau Sieglinde dabei, die noch immer die Buchhaltung macht – nun nicht mehr für ihren Mann, sondern für Sohn Heiko (46), der das Geschäft übernommen hat. Jeden Tag schaut Sieglinde Bonig im Laden vorbei, damit alles auf dem Laufenden ist.

Für Bonig Senior ist es ein Glücksfall, genau wie der Umstand, dass ein Geschäft in der Größe eines Ortes wie Mieste überhaupt weitergeführt wird. Seit 2011 hat er mit seinem Sohn die Geschäftsübernahme vorbereitet, inzwischen ist Heiko Bonig offiziell der Inhaber. Zu DDR-Zeiten hatte der 46-Jährige eine Lehre zum Facharbeiter für Zootechnik gemacht, später folgte eine Ausbildung zum Elektroinstallateur. Richtig aus Mieste weg war er nie. Und seit viereinhalb Jahren arbeitete er sich nun in das Geschäft mit Fahrrädern, Kettensägen, Motorsensen und Simson-Ersatzteilen ein. Alles was damit zusammenhängt wird in der Werkstatt hinten im Laden repariert.

Zum zweiten Frühstück um 11 Uhr kommt Uwe Bonig noch täglich in den Laden – und auch als Aushilfe ist er gelegentlich noch aktiv, natürlich mit seinem blauen Kittel. „Aber ich weiß, dass es jetzt nicht mehr meins ist“, sagt der Mann, der für die Zweiräder lebt, auch wenn er aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr selbst Fahrrad fahren kann. Sein Rad, ein ganz normales Herrenrad, hat auch sein Sohn übernommen. Für die Kundschaft gab es durch die langjährige Mitarbeit einen „gleitenden Übergang“, wie Uwe Bonig es nennt.

Er hat nun mehr Zeit für seine Frau, sein großes Grundstück und Reisen. Auch wenn er und seine Frau seit 39 Jahren das Geschäft hatten, „haben wir uns immer Urlaub gegönnt“, betont er. Besonders die Inseln haben es Bonigs angetan. Die Lieblingsinsel: Gran Canaria. Und zu seinem zunehmenden Ruhestand passt ja dann irgendwie, „dass ich nur noch einen ordentlichen blauen Kittel habe – denn die Bude, wo ich die immer bestellt habe, gibt es leider nicht mehr.“