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Gerichtsverhandlung „Ich bin kurz davor, zu explodieren“

Wegen Missbrauch des Notrufes wurde ein Mann verurteilt. Trotz Blutalkoholgehalt von fast 3,8 Promille gab es keine milde Strafe.

Von Gesine Biermann 07.04.2016, 03:00

Gardelegen l Mit einem solchen Wert wäre wohl so gut wie jeder andere handlungsunfähig. Er aber war noch richtig gut drauf. Und er konnte sich sogar noch absolut verständlich ausdrücken: Mit 3,79 Promille, also volltrunken, hatte ein 37-Jähriger im Sommer des vergangenen Jahres den Notruf der Polizei gewählt, um den Beamten mitzuteilen, dass er gleich seine Freundin umbringen wird (wir berichteten). Zwei Polizisten hatten ihn daraufhin aufgesucht, ließen ihn ins Röhrchen pusten und waren extrem überrascht, das ein Mann mit solchem Alkoholpegel so nüchtern wirkte.

Zu klären war nun, ob er bei einem so hohen Alkoholgehalt überhaupt zurechnungsfähig war. Den Mitschnitt über die insgesamt drei Telefonate mit den Kollegen der Notrufzentrale erhob Richter Axel Bormann am Mittwoch deshalb zum Beweismaterial im Prozess gegen den Arbeitslosen. Da der Angeklagte selbst nicht erschienen war – er war schon während des vorhergehenden Verhandlungstermines einfach aus dem Saal spaziert – hörten sich Richter und Staatsanwalt die Originalaufnahmen eben allein an.

Gleich drei Mal hatte der derzeit unbeschäftigte Verladearbeiter an diesem Juniabend den Notruf 110 gewählt. Und schon beim ersten Mal kündigte er an, dass er gleich seine Lebensgefährtin umbringen will: „Wir haben Streit und ich töte jetzt meine Frau!“, kündigte er an. Er werde von ihr permanent beleidigt.

Wo denn seine Frau jetzt gerade sei, will die Mitarbeiterin am Notruftelefon daraufhin wissen. Sie sei zu Hause, antwortet der Mann, er auch. „Und jemand muss sie zur Vernunft bringen!“

Die Beamtin erfragt daraufhin seine genaue Adresse. Die kann der Mann exakt angeben. Bei der Schreibweise der Straße buchstabiert er sogar – klar und deutlich. Die Dame am Notruftelefon sagt ihm daraufhin zu, dass gleich jemand vorbeikomme. Das Warten auf die Beamten dauert dem Mann dann aber offenbar zu lange. Beim zweiten Anruf erscheint der 37-Jährige nämlich schon recht ärgerlich. Diesmal ist ein männlicher Beamter am Apparat. Was los sei, will der Anrufer wissen. Er habe doch mit einer Frau gesprochen.

„Ja, hier arbeiten mehrere“ antwortet ihm der Polizist: „Was ist denn nun, wollen sie einen Notruf melden oder nicht?“ „Nö“ sagt der Anrufer. „Dann lege ich jetzt auf“, kündigt der Beamte an – und tut das auch. Weil die Beamten zwischenzeitlich aber wohl immer noch nicht bei ihm eingetroffen sind, ruft der Mann dann aber gleich noch einmal an. Wieder spricht er mit einem männlichen Mitarbeiter. „Ich habe vor zehn Minuten angerufen und passiert ist gar nichts“, sagt er wütend.

Der Beamte beschwichtigt ihn. Es komme jemand vorbei. „Die Kollegen sind schon unterwegs aber wir können nicht fliegen.“ „Na das ist ja mal ‘ne gute Nachricht, ich bin ja sowas von begeistert“, antwortet der Angeklagte daraufhin. Alles klingt klar und absolut verständlich. Und genau aus diesem Grund wollen am Ende auch weder Staatsanwalt noch Richter an die Erinnerungslücken glauben, die ihnen der Angeklagte während der vorangegangenen Verhandlungstermine vorspielen wollte. „Wer seinen Straßennamen so schnell und richtig buchstabieren kann, ist rechtlich gesehen Herr seiner Sinne“, betonte Richter Axel Bormann. Er sieht den Missbrauch des Notrufes als bewiesen an, und auch keine verminderte Schuldfähigkeit wegen des hohen Alkoholwertes und verurteilt den Mann in Abwesenheit zu einer Geldstrafe von 1400 Euro.

Übrigens: Seine Frau hatte der Mann an dem Abend nicht umgebracht, sondern sich nach dem Gespräch mit den Beamten lieber von der Tankstelle noch was zu trinken geholt.